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Reisebekanntschaften
#1
Im Ursprung hatte ich ja nicht geplant, die Geschichte mit auf die Insel zu holen, aber da der Vampir und die alte Dame nun wohl doch eine Fortsetzung bekommen werden, hier noch mal für alle, die die Geschichte nicht kennen oder sich nicht mehr daran erinnern oder sie vielleicht einfach gern nochmal lesen wollen:

Reisebekanntschaften


   

Seit Stunden rollt die Postkutsche über die staubigen Straßen. Drinnen sitzt eine ältere Dame. Sie lächelt und Falten umspielen ihre Mundwinkel.  Sie sieht nach draußen und ihre Augen wirken so weise, als hätten sie schon alles gesehen.

   

Ihr gegenüber sitz ein junger Mann.  Ein Gentleman durchaus, Anfang 20 und überaus blass. Er hat die Vorhänge zugezogen, ein Kissen über sein Gesicht gelegt  und dämmert vor sich hin. Ein Umstand, den Lucie Capek gar nicht zusagte. Es war der letzte Tag des Jahres und sie hätte gern Unterhaltung gehabt.

   

Sie bereute, alles Wichtige oben im Koffer auf dem Kutschendach zu haben.  Die Gegend gab nicht viel her. Ihr fehlten die wunderschönen Gärten in Prag mit den mächtigen Bäumen und den vielen bunten Blumen. Um diese Zeit würde dort Schnee liegen und nur noch die die dunklen Tannen hatten noch ihre Nadeln.  Die Bilder in ihrem Gedächtnis waren schnell wieder verschwunden, als sie von dem Mann ihr gegenüber ein Räuspern vernahm.
Danteslav  Orlok nahm sich das Kissen vom Gesicht, zog den Vorhang zur Seite und blickte ebenfalls nach draußen. Die Sonne war untergegangen und die Nacht begann. Die letzte Nacht des Jahres 1899. Und er fuhr mit der Kutsche durch den Westen Amerikas. Freiheit hatte man ihm hier versprochen. Jedoch alles was er bisher hier erlebt hatte, war allenfalls rückständiger als in seiner alten Heimat. Aber war er nicht vor all der Veränderung des modernen Lebens geflohen?

   

Er sah zu der Frau gegenüber. Er hatte sie bereits auf dem Schiff gesehen, das sie über den weiten Ozean  gebracht hatte. Sie hatte ihn wohl kaum gesehen, was nicht daran lag, dass sie blind gewesen war, sondern daran, dass er sich nur nachts auf dem Schiff blicken ließ, da er beliebte in einer Kiste zu reisen. Diese Kiste war nun oben auf dem Dach der Kutsche festgezurrt und er saß hier. Er hatte gestern Morgen schon darüber nachgedacht, die Kutsche anhalten zu lassen. Aber was hätte er dem Kutscher sagen sollen? Also hatte er sich in seinen Mantel gehüllt und das weiche Kissen für den Nacken vors Gesicht gelegt um möglichst vor der Sonne geschützt zu sein. Er hoffte noch, dass hier nicht zu viele Passagiere mit Läusebefall mitfahren würden. Aber was sollten diese ihm schon anhaben. Sein Blut konnte keiner Laus munden.

   

„Haben Sie gut geschlafen?“ beginnt Frau Capek das Gespräch.  Sie war es einfach nicht gewöhnt so lange zu schweigen. Sie und ihr Mann hatten sich nächtelang unterhalten und wann immer er neue Theorien im Kopf hatte, teilte er sie mit seiner Frau. Wenn er in seiner Werkstadt war und an seinen Erfindungen herumschraubte, war sie bei ihm, reichte ihm Werkzeug, brachte ihm Kaffee und erörterte auftretende Probleme. Die meisten seiner Erfindungen hätte es  ohne sie vielleicht gar nicht gegeben.

   

Aber vor zwei Jahren war er gestorben.  Er war einfach in seinem Sessel eingeschlafen. H.E.I.N.Z. (Hilfseinheit im Normalzustand) - seine letzte Erfindung - lief um ihn herum und wusste nicht, was er tun sollte, da seine letzte Programmierung noch nicht vollendet gewesen war.  Lucie erinnerte sich, wie sie erst den Roboter abstellte, um ihn später zu vollenden, wenn sie alle Unterlagen ihres Mannes durchsucht hatte. Dann hatte sie sich darum gekümmert, Josef unter die Erde zu bringen.  Es hatte fast ein Jahr gedauert, bis alles was ihr Mann angefangen hatte, irgendwie beendet  – fertiggestellt oder auseinandergebaut – war. Dann hatte sie das Haus bis auf den letzten Nagel verkauft und von dem Geld die Reise bezahlt auf der sie sich nun immer noch befand.
„Nun, ich habe schon besser geschlafen.“ Lächelte Danteslav. So viel Freundlichkeit begegnete er in seinem Leben nur selten.  Er hatte die letzten  Jahrhunderte mit seinem Bruder auf dem alten Familiensitz verbracht. Eine uralte zugige Burg in der Tatra.  Sein älterer Bruder war ohne Frage der Graf der Gegend auch wenn die Bevölkerung dies schon seit langer Zeit anders sah. Also erstreckte sich seine Grafschaft ausschließlich auf die langsam zerfallenden Mauern des Schlosses Orlok. Er war  er der Ältere gewesen. Zwei Jahre. Was für einen Unterschied machte das bei den 700 Jahren, die sie schon dort gemeinsam verbrachten?

   

Danteslav war es leid gewesen, der einzige Untergebene seines Bruders zu sein. Zu den Dörfern hinabschleichen und dann mit irgendeiner Jungfer wieder hinaufklettern.  Er hatte oft darüber nachgedacht, einfach Feuer zu legen. Möge das Schloss einfach brennen, wie die Dorfbewohner es schon mehrfach versucht hatten, weil sie die Entführungen der Mädchen vergelten wollten.  Vor einiger Zeit kam sogar ein Mann von der Regierung, der wegen der Machenschaften seines Bruders in der Gegend ermittelte. Nein, es war einfach Zeit zu gehen. Sich einfach wegzustehlen, war nur eine Schwierigkeit. Geweihte Erde in eine Kiste zu tun und diese auf einen Wagen zu laden, war nicht schwer gewesen. Auch einen großen Teil des Familienvermögens mit sich zu nehmen, war einfacher als er gedacht hatte.  Sein Bruder, der Graf, kümmerte sich nie um das was er tat. Die Probleme begannen erst, als er  das Geld auf eine Bank bringen wollte und keine Papiere vorlegen konnte. Und als er über die erste Grenze wollte und man Papiere von ihm verlangte. Natürlich hatte er diese immer noch nicht. Man hatte ihn verhaftet und eingesperrt. Zum Glück in eine dunkle Zelle mit Ratten. Aber als die Monate abgelaufen waren, hatte er sich erneut auf den Weg gemacht. Andernorts bestand man darauf, ihn zu fotografieren und auch da kamen Schwierigkeiten auf.  Jetzt aber lag das alles erstmal hinter ihm. Er hatte noch keine Ahnung, wohin es nun endgültig gehen sollte. Aber der Weg war schon mal der Richtige und manchmal ist der Weg wichtiger als das Ziel.

   

„Wie weit fahren Sie mit?“ begann Lucie Capek erneut das Gespräch. 
„Nun, ich denke, erst einmal bis San Francisco. Es sein denn  irgendwo vorher gefällt es mir.“ Orlok lächelt. Wohl bedacht darauf, den Mund nicht so weit zu öffnen, dass man seine Eckzähne sehen könnte.
„Oh, das gefällt mir. Nur fürchte ich heute Nacht werden wir kaum einen solch einladenden Ort. finden“
Bald würde die Kutsche Rast machen. Der Kutscher brauchte Schlaf, die Kutsche neue ausgeruhte Pferde und Lucie sehnte sich danach, ein wenig herum zu laufen. Außerdem war Silvester. Ein ganz besonderes Silvester. Ein neues Jahrhundert begann. Keiner wusste, was es bringen würde. Die Welt wirkte so groß wie noch nie und wenn es nach Lucie ging, wollte sie jeden Winkel davon entdecken. Nein, es würde keinen Ort geben, an dem sie bleiben würde.

   

„Ihr Akzent erinnert mich an meine Heimat.“ Stellte Danteslav Orlok fest.  Das letzte womit er gerechnet hatte war diesen Akzent noch einmal wiederzuhören.
„Ich lebte die meiste Zeit meines Lebens im Prag.“ Sie lächelt leise.
„Und, wo treibt es sie hin, so weit von zu Hause?“
Lucie Capek überlegt kurz.  Nun, sie war es, die das Gespräch begann und sich unterhalten wollte. Und nun schwebte diese Frage im Inneren der Kutsche und sie wusste nicht wirklich was sie antworten sollte. Was er verstehen würde. Normalerweise lebten Frauen ihres Alters in einem Haus und bekochten ihre Enkelkinder.
„In das neue Jahrhundert!“  sagt sie und genau das ist auch die Antwort.
„Dann haben wir anscheinend denselben Weg!“  Orlok nimmt den Hut ab und verbeugt sich soweit es in der Kutsche möglich ist.

   

„Mein Name ist Danteslav Orlok. Graf Orlok.“
„Ein echter Graf.“ Lucie ergreift seine dargebotene Hand. „Ich bin Lucie Carpek.“
„Erfreut, Sie kennen zu lernen.“
Von draußen hören sie den Kutscher die Pferde stoppen und die Kutsche kommt zum Stehen.  Die beiden Passagiere hatten seit Beginn ihrer Unterhaltung nicht mehr aus dem Fenster gesehen und so gar nicht mitbekommen, dass sie einen kleinen Ort erreicht haben. Dann öffnet sich die Tür und der Kutscher schaut herein.

   

„Wir sind in Bevertown. Hier geht es morgen früh weiter. Dort drüben ist ein Hotel.“ Seine schwieligen Finger zeigen zu einem Haus die Straßen hinunter.
Orlok steigt aus, streckt sich kurz und bietet dann seiner Mitreisenden die Hand zum Aussteigen.
„Vielleicht hätte ich doch den Zug nehmen sollen.“ Scherzt die Dame.

   
    
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Reisebekanntschaften - von Ischade - 01.05.2020, 08:25
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