02.02.2021, 12:19
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 28.02.2021, 19:50 von Fredeswind.)
Die schwache Frau richtete sich ein wenig auf und sah ihn mit fast zürnenden Augen an. „Was habt Ihr denn an meinem Andrees auszusetzen?“ , fragte sie. „Ich an Eurem Andrees, Frau Stine? – Auf der Welt gar nichts! Aber“ – und er strich sich mit der Hand über die silbernen Knöpfe seiner (roten) Weste – „meine Tochter ist eben meine Tochter, und des Wiesenbauers Tochter kann es besser belaufen.“ „Trotzt nicht zu sehr, Wiesenbauer“, sagte die Frau milde, „ehe die heißen Jahre kamen –!“ „Aber sie sind gekommen und sind noch immer da, und auch für dies Jahr ist keine Aussicht, dass Ihr eine Ernte in die Scheuer bekommt. Und so geht's mit Eurer Wirtschaft immer weiter rückwärts.“
Die Frau war in tiefes Sinnen versunken; sie schien die letzten Worte kaum gehört zu haben. „Ja“, sagte sie, „Ihr mögt leider recht behalten, die Regentrude muss eingeschlafen sein; aber – sie kann geweckt werden!“ „Die Regentrude?“, wiederholte der Bauer hart. „Glaubt Ihr auch an das Gefasel?“ „Kein Gefasel, Nachbar!“, erwiderte sie geheimnisvoll. „Meine Urahne, da sie jung gewesen, hat sie selber einmal aufgeweckt. Sie wusste auch das Sprüchlein noch und hat es mir öfters vorgesagt, aber ich habe es seither längst vergessen.“
Der dicke Mann lachte, dass ihm die silbernen Knöpfe auf seinem Bauche tanzten. „Nun, Mutter Stine, so setzt Euch hin und besinnt Euch auf Euer Sprüchlein. Ich verlasse mich auf mein Wetterglas, und das steht seit acht Wochen auf beständig Schön!“ „Das Wetterglas ist ein totes Ding, Nachbar; das kann doch nicht das Wetter machen!“ „Und Eure Regentrude ist ein Spukeding, ein Hirngespinst, ein Garnichts!“ „Nun, Wiesenbauer“, sagte die Frau schüchtern, „Ihr seid einmal einer von den Neugläubigen!“ Aber der Mann wurde immer eifriger. „Neu- oder altgläubig!“ rief er, „geht hin und sucht Eure Regenfrau und sprecht Euer Sprüchlein, wenn Ihr's noch beisammenkriegt! Und wenn Ihr binnen heut und vierundzwanzig Stunden Regen schafft, dann –!“ Er hielt inne und paffte ein paar dicke Rauchwolken vor sich hin.
„Was dann, Nachbar?“, fragte die Frau. „Dann – – dann – zum Teufel, ja, dann soll Euer Andrees meine Maren freien!“ In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür des Wohnzimmers, und ein schönes schlankes Mädchen mit rehbraunen Augen trat zu ihm auf die Durchfahrt hinaus. „Topp, Vater“, rief sie, „das soll gelten!“ Und zu einem ältlichen Manne gewandt, der eben von der Straße her ins Haus trat, fügte sie hinzu: „Ihr habt's gehört, Vetter Schulze!“ „Nun, nun, Maren“, sagte der Wiesenbauer, „du brauchst keine Zeugen gegen deinen Vater aufzurufen; von meinem Wort da beißt dir keine Maus auch nur ein Titelchen ab.“
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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