24.02.2021, 09:08
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 24.02.2021, 09:12 von Fredeswind.)
So begannen beide leise in die Hände zu klopfen; und alsbald entstand ein Gewoge und Geschiebe, die Nebelgebilde drängten sich nach den Öffnungen und schwammen, eins nach dem andern, ins Freie hinaus. Nach kurzer Zeit sah Maren schon wieder den Brunnen vor sich und den grünen Boden mit den gelben und violetten Irisblüten. Dann wurden auch die Fensterhöhlen frei, und sie sah weithin über den Bäumen des Gartens die Wolken den ganzen Himmel überziehen. Allmählich verschwand die Sonne. Noch ein paar Augenblicke, und sie hörte es draußen wie einen Schauer durch die Bäume und Gebüsche wehen, und dann rauschte es hernieder, mächtig und unablässig. Maren saß aufgerichtet mit gefaltenen Händen. „Frau Trude, es regnet“, sagte sie leise.
Diese nickte kaum merklich mit ihrem schönen blonden Kopfe; sie saß wie träumend. Plötzlich aber entstand draußen ein lautes Prasseln und Heulen, und als Maren erschrocken hinausblickte, sah sie aus dem Bette des Umgebungsstromes, den sie kurz vorher überschritten hatte, sich ungeheure weiße Dampfwolken stoßweise in die Luft erheben. In demselben Augenblicke fühlte sie sich auch von den Armen der schönen Regenfrau umfangen, die sich zitternd an das neben ihr ruhende junge Menschenkind schmiegte. „Nun gießen sie den Feuermann aus“, flüsterte sie, „horch nur, wie er sich wehrt! Aber es hilft ihm doch nichts mehr.“ Eine Weile hielten sie sich so umschlossen; da wurde es stille draußen, und es war nun nichts zu hören als das sanfte Rauschen des Regens.
– Da standen sie auf, und die Trude ließ die Falltür des Brunnens herab und verschloss sie. Maren küsste ihre weiße Hand und sagte: „Ich danke Euch, liebe Frau Trude, für mich und alle Leute in unserm Dorfe! Und“, – setzte sie ein wenig zögernd hinzu – „nun möchte ich wieder heimgehen!“ „Schon gehen?“, fragte die Trude. „Ihr wisst es ja, mein Schatz wartet auf mich; er mag schon wacker nass geworden sein.“ Die Trude erhob den Finger. „Wirst du ihn auch später niemals warten lassen?“ „Gewiss nicht, Frau Trude!“ „So geh', mein Kind; und wenn du heimkommst, so erzähle den andern Menschen von mir, dass sie meiner fürder nicht vergessen. – Und nun komm! Ich werde dich geleiten.“
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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