15.01.2022, 13:32
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 15.01.2022, 13:33 von Fredeswind.)
Als ihr das Herz wiederkam, sprach sie: „Damit hast du mich noch nicht gewonnen, du musst noch eins tun, unten im Stall liegt ein Bär, bei dem sollst du die Nacht zubringen; wenn ich dann morgen aufstehe, und du bist noch lebendig, so sollst du mich heiraten.“
Sie dachte aber, damit wollte sie das Schneiderlein loswerden, denn der Bär hatte noch keinen Menschen lebendig gelassen, der ihm unter die Tatzen gekommen war. Das Schneiderlein ließ sich nicht abschrecken, war ganz vergnügt und sprach: „Frisch gewagt ist halb gewonnen.“
Als nun der Abend kam, ward mein Schneiderlein hinunter zum Bären gebracht. Der Bär wollt auch gleich auf den kleinen Kerl los und ihm mit seiner Tatze einen guten Willkommen geben. „Sachte, sachte“, sprach das Schneiderlein, „ich will dich schon zur Ruhe bringen.“
Da holte es ganz gemächlich, als hätte es keine Sorgen, welsche Nüsse aus der Tasche, biss sie auf und aß die Kerne. Wie der Bär das sah, kriegte er Lust und wollte auch Nüsse haben. Das Schneiderlein griff in die Tasche und reichte ihm eine Handvoll; es waren aber keine Nüsse, sondern Wackersteine. Der Bär steckte sie ins Maul, konnte aber nichts aufbringen, er mochte beißen, wie er wollte.
„Ei“, dachte er, „was bist du für ein dummer Klotz! Kannst nicht einmal die Nüsse aufreißen.“ Er sprach zum Schneiderlein: „Mein, beiß mir die Nüsse auf.“ „Da siehst du, was du für ein Kerl bist“, sprach das Schneiderlein, „hast so ein großes Maul und kannst die kleine Nuss nicht aufreißen.“ Da nahm es die Steine, war hurtig, steckte dafür eine Nuss in den Mund und knack, war sie entzwei.
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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