23.12.2018, 20:03
So lange die Lichter brannten, war es wie ein Gottesdienst; während der Mutter auf dem Herde richtig ein paar Krapfen verschmorten. Erst als sie verloschen, eins ums andere, bis auch das letzte mit ein paar knisternden Flackern dahin war, huben die Leute an zu reden und einer brachte, weil es finster geworden war, von der Küche ein rötliches Spanlicht her ein. „Was denn da drunter liegt!“, sagte der Vater und zeigte auf den Wecken.
Der schöne bräunliche Wecken, mit Weinberln gespickt – weil es Weihnachtsgebäck war – wurde dem Kleinen in die Hand gegeben. Er hielt ihn ganz hilflos vor sich. Die Freude wurde nicht größer, weil sie nicht mehr größer werden konnte. Der Christbaum allein hatte sein ganzes Herzlein ausgefüllt, sowie er auch unsere Kinder ausfüllen würde, wenn der himmlische Lichterbusch nicht so sehr mit irdischem Tand verweltlicht wäre.
Nachher beim Nachtmahl wurden allerhand Meinungen laut. „Heut' tat eigentlich 's Krippel auf den Tisch gehören,“, meinte die alte Magd. „'s Krippel ist eh da oben,“ entgegnete der Vater und wies gegen den Wandwinkel, wo neben mehreren Heiligenbildern mit kleinen Figuren auch die Darstellung der Geburt Christi war.“
„ 's kommt halt eine neue Mod' auf,“, wusste der Junge aus dem Tal zu sagen. „Der lutherisch Verwalter in Mitterdorf hat in ganz Mürztal den Christbaum aufgebracht. Aber da sind wenigstens gute Sachen darunter, und dass jeder was kriegt.“ „Aha, wenn du Geschenke kriegst,“ sagte ich gereizt, „da magst auch einen lutherischen Christbaum, gelt!“ „Still seid's!“, gebot der Vater, der solche Reden nie leiden konnte, und heut am wenigsten.
Also ist die Weihnachtsstimmung schön gewahrt geblieben. Und während wir gekochte Rüben und Sterz aßen, saß der Nickerl beim Christbaum und aß ein Stückchen Wecken, das ihm die Mutter herabgeschnitten hatte. Sich und dem Vater und mir, so war sein Wille, sollte sie auch ein Stück herabschneiden; aber mir war der lang entbehrte Sterz lieber. So zehrte der Kleine noch am Christtag und am Stephanitag und am Johannstage an seinem Wecken.
Aber die Weinberln hatte er alle schon am ersten Tag aus der Rinde gekietzelt. Endlich war der ganze Wecken weg. Aber das Bäumlein war noch da, wenn auch kahl und leer, wie sie im Walde stehen. Der Nickerl ließ es an sein Bettchen stellen. Und dort stand es gewisslich bis die Nadeln begannen zu fallen. Dann nahm es die Mutter heimlich weg, hackte es klein, und legte es fast zärtlich auf das prasselnde Herdfeuer.
ENDE
Der schöne bräunliche Wecken, mit Weinberln gespickt – weil es Weihnachtsgebäck war – wurde dem Kleinen in die Hand gegeben. Er hielt ihn ganz hilflos vor sich. Die Freude wurde nicht größer, weil sie nicht mehr größer werden konnte. Der Christbaum allein hatte sein ganzes Herzlein ausgefüllt, sowie er auch unsere Kinder ausfüllen würde, wenn der himmlische Lichterbusch nicht so sehr mit irdischem Tand verweltlicht wäre.
Nachher beim Nachtmahl wurden allerhand Meinungen laut. „Heut' tat eigentlich 's Krippel auf den Tisch gehören,“, meinte die alte Magd. „'s Krippel ist eh da oben,“ entgegnete der Vater und wies gegen den Wandwinkel, wo neben mehreren Heiligenbildern mit kleinen Figuren auch die Darstellung der Geburt Christi war.“
„ 's kommt halt eine neue Mod' auf,“, wusste der Junge aus dem Tal zu sagen. „Der lutherisch Verwalter in Mitterdorf hat in ganz Mürztal den Christbaum aufgebracht. Aber da sind wenigstens gute Sachen darunter, und dass jeder was kriegt.“ „Aha, wenn du Geschenke kriegst,“ sagte ich gereizt, „da magst auch einen lutherischen Christbaum, gelt!“ „Still seid's!“, gebot der Vater, der solche Reden nie leiden konnte, und heut am wenigsten.
Also ist die Weihnachtsstimmung schön gewahrt geblieben. Und während wir gekochte Rüben und Sterz aßen, saß der Nickerl beim Christbaum und aß ein Stückchen Wecken, das ihm die Mutter herabgeschnitten hatte. Sich und dem Vater und mir, so war sein Wille, sollte sie auch ein Stück herabschneiden; aber mir war der lang entbehrte Sterz lieber. So zehrte der Kleine noch am Christtag und am Stephanitag und am Johannstage an seinem Wecken.
Aber die Weinberln hatte er alle schon am ersten Tag aus der Rinde gekietzelt. Endlich war der ganze Wecken weg. Aber das Bäumlein war noch da, wenn auch kahl und leer, wie sie im Walde stehen. Der Nickerl ließ es an sein Bettchen stellen. Und dort stand es gewisslich bis die Nadeln begannen zu fallen. Dann nahm es die Mutter heimlich weg, hackte es klein, und legte es fast zärtlich auf das prasselnde Herdfeuer.
ENDE
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)