03.10.2019, 22:32
5. BLANCHE
Auch ein weibliches Wesen ist um mich her, das in meinem Haushalt die Ergänzung zu Rasumofsky bildet. Es ist, um mich an Rückertschen Anklängen zu bewegen, eine feine Reine, schlanke Kleine, die ich mit Rücksicht auf ihre Erscheinung Blanche getauft habe…. Sie ist noch ganz Kind, ganz unbefangen, fasst das Leben von der heiteren und Vergnügungsseite auf und betrachtet sich selbst als bloßes Ornament des Daseins, kennt keine andere Pflicht als die, sich zu putzen und streicheln zu lassen...
Ich engagierte sie zunächst aus bloßen Nützlichkeitsrücksichten und erwartete von ihr, wie jetzt das Modewort lautet, einen ‚Guerre d’extermination‘ (Ausrottungskrieg) gegen den Erbfeind; aber niemals ist eine Erwartung gründlicher getäuscht worden. Sie scheint kaum zu wissen, dass es Feinde gibt, geschweige Erbfeinde.
Über Nacht aber, wenn der Feind seine Vorposten schickt, horcht sie auf spinnt dann einen Augenblick vergnüglich und schläft wieder ein. Dennoch – dies Anerkenntnis bin ich ihr schuldig – übt sie einen gewissen Einfluss, aber freilich ohne die geringste Ahnung davon. Sie ist ganz Spielzeug, und ich habe es längst aufgegeben, Ernsteres von ihr zu erwarten. Es liegt nicht an ihr.
Sie ist mir Schauspiel, Augenweide, Zirkusschönheit, im Hoch- und Weitsprung gleich ausgezeichnet. Blanche, wie gesagt, ist die Ergänzung zu Rasumofsky; was jener meinem Geiste ist, ist diese meinen Sinnen. Wenn ich mit dem ersteren… die Tagesangelegenheiten behandle, also in rascher Reihenfolge die Fragen stelle: „Wie ist das Wetter? Was macht Paris? Nichts von Frieden?“ – so gehört mein Auge ganz der kleinen Weißen, die wie ein alabasterner Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch neben mir liegt...
Um acht Uhr, nachdem wir unsern Tee genommen, für den sie eine distinguierte Vorliebe zeigt, gehen wir zu Bett; sie ist aber noch nicht müde und unterhält mich eine Viertelstunde lang durch die wunderbarsten Kapriolen. Um halb neun endlich, wo abwechselnd ein Trompeter von den Schleswiger Husaren und den Garde-Ulanen auf den Kasernenhof tritt, um die preußischen Kavalleriesignale zu blasen, wird Blanche stiller und schiebt sich, wie zu einer letzten Liebkosung, an meinen Hals zwischen Kopf und Schulter.
So vergehen Minuten. Eine viertel Stunde später tritt aus dem Kasernenflügel gegenüber ein französischer Trompeter auf den Hof hinaus und antwortet den Preußen oder besiegelt den Appell. Nun weiß Blanche, dass es Zeit ist. Sie erhebt sich summend und spinnend und legt sich am Fußende des Bettes auf die vierfach zusammengefaltete Reisedecke.
Das Feuer im Kamin erlischt. So schlafen wir, bis die Reveille (Wecksignal) uns weckt.
Auch ein weibliches Wesen ist um mich her, das in meinem Haushalt die Ergänzung zu Rasumofsky bildet. Es ist, um mich an Rückertschen Anklängen zu bewegen, eine feine Reine, schlanke Kleine, die ich mit Rücksicht auf ihre Erscheinung Blanche getauft habe…. Sie ist noch ganz Kind, ganz unbefangen, fasst das Leben von der heiteren und Vergnügungsseite auf und betrachtet sich selbst als bloßes Ornament des Daseins, kennt keine andere Pflicht als die, sich zu putzen und streicheln zu lassen...
Ich engagierte sie zunächst aus bloßen Nützlichkeitsrücksichten und erwartete von ihr, wie jetzt das Modewort lautet, einen ‚Guerre d’extermination‘ (Ausrottungskrieg) gegen den Erbfeind; aber niemals ist eine Erwartung gründlicher getäuscht worden. Sie scheint kaum zu wissen, dass es Feinde gibt, geschweige Erbfeinde.
Über Nacht aber, wenn der Feind seine Vorposten schickt, horcht sie auf spinnt dann einen Augenblick vergnüglich und schläft wieder ein. Dennoch – dies Anerkenntnis bin ich ihr schuldig – übt sie einen gewissen Einfluss, aber freilich ohne die geringste Ahnung davon. Sie ist ganz Spielzeug, und ich habe es längst aufgegeben, Ernsteres von ihr zu erwarten. Es liegt nicht an ihr.
Sie ist mir Schauspiel, Augenweide, Zirkusschönheit, im Hoch- und Weitsprung gleich ausgezeichnet. Blanche, wie gesagt, ist die Ergänzung zu Rasumofsky; was jener meinem Geiste ist, ist diese meinen Sinnen. Wenn ich mit dem ersteren… die Tagesangelegenheiten behandle, also in rascher Reihenfolge die Fragen stelle: „Wie ist das Wetter? Was macht Paris? Nichts von Frieden?“ – so gehört mein Auge ganz der kleinen Weißen, die wie ein alabasterner Briefbeschwerer auf meinem Schreibtisch neben mir liegt...
Um acht Uhr, nachdem wir unsern Tee genommen, für den sie eine distinguierte Vorliebe zeigt, gehen wir zu Bett; sie ist aber noch nicht müde und unterhält mich eine Viertelstunde lang durch die wunderbarsten Kapriolen. Um halb neun endlich, wo abwechselnd ein Trompeter von den Schleswiger Husaren und den Garde-Ulanen auf den Kasernenhof tritt, um die preußischen Kavalleriesignale zu blasen, wird Blanche stiller und schiebt sich, wie zu einer letzten Liebkosung, an meinen Hals zwischen Kopf und Schulter.
So vergehen Minuten. Eine viertel Stunde später tritt aus dem Kasernenflügel gegenüber ein französischer Trompeter auf den Hof hinaus und antwortet den Preußen oder besiegelt den Appell. Nun weiß Blanche, dass es Zeit ist. Sie erhebt sich summend und spinnend und legt sich am Fußende des Bettes auf die vierfach zusammengefaltete Reisedecke.
Das Feuer im Kamin erlischt. So schlafen wir, bis die Reveille (Wecksignal) uns weckt.
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)