04.10.2019, 20:50
6. LE REMPART
Um acht Uhr früh, oder wenig später trat ich allmorgendlich auf den Wallgang (le rempart), der sich auf dem fünfzehn Schritt breiten Terrain zwischen meiner Kaserne und dem Meer hinzog... Der Rempart selber war nicht ein gewöhnlicher zugeschrägter Wall mit Grasdossierung und einem Fußsteig, sondern aus senkrechten Quadern ausgeführtes Mauerwerk.
Diese Morgenspaziergänge, denen ich, bei schönem Wetter, noch eine kurze Mittags- und Nachmittagspromenade folgen ließ, waren meine besondere Freude, und ich kann sagen, die schönsten und poetischten Stunden meiner Oléron-Tage auf diesem prächtigen Rempart zugebracht zu haben.
Je nach der Stunde zu der ich heraustrat, fand ich Flut oder Ebbe, begrüßte ich das steigende oder schwindende Meer. War Ebbe, so lag der Wasserarm, der unsere Insel vom Festlande trennte zur Hälfte wie eine Sandbank da. Unmittelbar zu Füßen des Remparts, trieben die hochbeinigen Strandläufer ihr possierliches Spiel; mit weißer Brust und schwarzen Flügeln, trippelnd, pfeifend und nahrungssuchend, liefen sie herdenweise über den lehmigen Grund hin.
Das war ein eigentümliches Bild, aber groß und erhebend war es, wenn nun die Flut unhörbar herankam, immer wachsend, immer steigend, bis die erste leise Brandungswelle das Mauerwerk der hervorspringenden Bastion und eine Minute später den Quaderfuß des zurückgelegenen Rempart traf...
Selbst an Regentagen, die auch ihren Zauber hatten, versuchte ich auf kurze Minuten hin an dieser bevorzugten Stelle auszuhalten. Nur die Sturmtage, an denen im Monat November keinen Mangel war, fegten mich gewaltsam vom Rempart hinunter und zwangen mich, meinen Morgenspaziergang unten, auf dem zehn Schritt breiten Gartenstreifen zu machen. Der Sturm heulte dann über mich hin. Aber auch ein bloßes Drüberhingehen reichte schon aus, alles was hier unten noch grünte, erzittern zu machen...
Ein Gefangener ist empfindlich gegen solche Eindrücke. Sie loszuwerden trat ich dann… rasch auf den Rempart hinaus. Es wetterte, ich hielt den Hut mit beiden Händen, und die Gischt sprang bis über die Brüstung. Aber ich atmete auf und sah nach Osten hin, wo mir die Heimat lag und Freiheit.
Um acht Uhr früh, oder wenig später trat ich allmorgendlich auf den Wallgang (le rempart), der sich auf dem fünfzehn Schritt breiten Terrain zwischen meiner Kaserne und dem Meer hinzog... Der Rempart selber war nicht ein gewöhnlicher zugeschrägter Wall mit Grasdossierung und einem Fußsteig, sondern aus senkrechten Quadern ausgeführtes Mauerwerk.
Diese Morgenspaziergänge, denen ich, bei schönem Wetter, noch eine kurze Mittags- und Nachmittagspromenade folgen ließ, waren meine besondere Freude, und ich kann sagen, die schönsten und poetischten Stunden meiner Oléron-Tage auf diesem prächtigen Rempart zugebracht zu haben.
Je nach der Stunde zu der ich heraustrat, fand ich Flut oder Ebbe, begrüßte ich das steigende oder schwindende Meer. War Ebbe, so lag der Wasserarm, der unsere Insel vom Festlande trennte zur Hälfte wie eine Sandbank da. Unmittelbar zu Füßen des Remparts, trieben die hochbeinigen Strandläufer ihr possierliches Spiel; mit weißer Brust und schwarzen Flügeln, trippelnd, pfeifend und nahrungssuchend, liefen sie herdenweise über den lehmigen Grund hin.
Das war ein eigentümliches Bild, aber groß und erhebend war es, wenn nun die Flut unhörbar herankam, immer wachsend, immer steigend, bis die erste leise Brandungswelle das Mauerwerk der hervorspringenden Bastion und eine Minute später den Quaderfuß des zurückgelegenen Rempart traf...
Selbst an Regentagen, die auch ihren Zauber hatten, versuchte ich auf kurze Minuten hin an dieser bevorzugten Stelle auszuhalten. Nur die Sturmtage, an denen im Monat November keinen Mangel war, fegten mich gewaltsam vom Rempart hinunter und zwangen mich, meinen Morgenspaziergang unten, auf dem zehn Schritt breiten Gartenstreifen zu machen. Der Sturm heulte dann über mich hin. Aber auch ein bloßes Drüberhingehen reichte schon aus, alles was hier unten noch grünte, erzittern zu machen...
Ein Gefangener ist empfindlich gegen solche Eindrücke. Sie loszuwerden trat ich dann… rasch auf den Rempart hinaus. Es wetterte, ich hielt den Hut mit beiden Händen, und die Gischt sprang bis über die Brüstung. Aber ich atmete auf und sah nach Osten hin, wo mir die Heimat lag und Freiheit.
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)