06.10.2019, 20:34
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 06.10.2019, 20:36 von Fredeswind.)
13. BEGRÄBNIS
Arbeit und Lektüre kürzten die Zeit, aber für jeden, der weder das eine noch das andere hatte, waren es langweilige Tage, nichts geschah, und Sergeant Genzel (ein Mitgefangener), wenn er seinen Heine so gute kannte, wie seinen Schiller, durfte zitieren:
„Nur wenn sie einen begraben,
Bekommen wir was zu sehn.“
Leider kam dies ‚Begraben‘ bald öfter vor, als auch den Zerstreuungssüchtigsten unter uns wünschenswert sein mochte. Erst starb ein Alter, ein bayerscher Fuhrmann. Offiziell hieß es, er habe einen ‚organischen Fehler‘ gehabt. So heißt es immer. Der zweite war ein Kürassier (auch Bayer), den man von Orleans krank hergebracht hatte. Am 22. November begruben wir ihn. Um neun Uhr wurde es lebhaft. Chorknaben, vier oder sechs… erschienen auf dem Kasernenhofe.
Dann kamen drei Geistliche, schwarz und weiß, mit Mitren auf dem Haupt. Die Bayern standen schon da und formierten sich zu einer Kolonne. Acht von ihnen, in blankem Helm, trugen den Sarg herbei der bisher in einem Schuppen gestanden hatte, und setzen ihn auf die Bahre. Es war eine einfache Holzkiste mit einem zugeschrägten Deckel. Das schwarze Tuch mit dem silbernen Kreuz wurde darüber geschlagen.
Dann setzte sich der Zug in Bewegung, zunächst auf die Stadt und Kirche zu, die Chorknaben mit Kruzifix und... Laternen allen übrigen voraus. So ging es durch das Portal über die Zugbrücke. Als wir an der Kantine vorbeikamen, schwenkten einige Leidtragende ab; ihre Empfindung nahm plötzlich eine andere Richtung. Die Mehrzahl folgte. So erreichten wir die Kirche…
Die acht Bayern hatten inzwischen die Bahre mit dem Sarg in das Mittelschiff gestellt, unmittelbar in die Nähe des Chores… Die geistlichen Herren nahmen innerhalb des Chores Platz; dann begannen die Litaneien. Es klang misererehaft. Ich konnte den Worten nicht folgen und betrachtete deshalb die Kirche. Sie war in gutem Stil aus gutem Materiale gebaut, dabei mit Bildern reich geschmückt… Nun waren die Litaneien vorüber. Die Geistlichen erschienen neben den Sarg und lasen die Gebete, ein Chorknabe schwenkte den Weihkessel; dann tat der fungierende Priester dasselbe. Damit war der kirchliche Akt beschlossen.
Kirche Mariä Himmelfahrt, Chateau d'Oléron
Der Zug setzte sich aufs neue in Bewegung, der Begräbnisstätte zu. Es war noch eine hübsche Strecke… Endlich sahen wir die weiße Mauer, das Tor stand auf und der Zug bog ein. Die Stätte machte einen guten Eindruck; Kreuze und Denkmäler, alles in Marmor, man ehrte die Toten hier. Dazu sprach aus allem eine gewisse Wohlhabenheit Zypressenbäume und wilder Lorbeer fassten die Gänge und Steige ein…
Nun hielten wir am Grabe; die tonige, graublaue Schlickerde lag uns zur Seite. Der Nordwest ging immer schärfer… Der Sarg wurde zur Grube getragen und dann gesenkt... Noch ein kurzes Gebet, dann griffen die Mutigsten in den nassen Schlick und warfen einen Erdkloß hinunter. Damit war es getan. In drei Minuten war alles verschwunden, der Friedhof leer... Ich gedachte derer, die, fern der Heimat des Toten, dieser Stunde nicht gedachten. Dann an den Hagrosen vorbei, von denen auch nicht eine auf sein Grab gelegt werden wird, trat auch ich den Rückweg an.
So stirbt man in der Fremde.
Arbeit und Lektüre kürzten die Zeit, aber für jeden, der weder das eine noch das andere hatte, waren es langweilige Tage, nichts geschah, und Sergeant Genzel (ein Mitgefangener), wenn er seinen Heine so gute kannte, wie seinen Schiller, durfte zitieren:
„Nur wenn sie einen begraben,
Bekommen wir was zu sehn.“
Leider kam dies ‚Begraben‘ bald öfter vor, als auch den Zerstreuungssüchtigsten unter uns wünschenswert sein mochte. Erst starb ein Alter, ein bayerscher Fuhrmann. Offiziell hieß es, er habe einen ‚organischen Fehler‘ gehabt. So heißt es immer. Der zweite war ein Kürassier (auch Bayer), den man von Orleans krank hergebracht hatte. Am 22. November begruben wir ihn. Um neun Uhr wurde es lebhaft. Chorknaben, vier oder sechs… erschienen auf dem Kasernenhofe.
Dann kamen drei Geistliche, schwarz und weiß, mit Mitren auf dem Haupt. Die Bayern standen schon da und formierten sich zu einer Kolonne. Acht von ihnen, in blankem Helm, trugen den Sarg herbei der bisher in einem Schuppen gestanden hatte, und setzen ihn auf die Bahre. Es war eine einfache Holzkiste mit einem zugeschrägten Deckel. Das schwarze Tuch mit dem silbernen Kreuz wurde darüber geschlagen.
Dann setzte sich der Zug in Bewegung, zunächst auf die Stadt und Kirche zu, die Chorknaben mit Kruzifix und... Laternen allen übrigen voraus. So ging es durch das Portal über die Zugbrücke. Als wir an der Kantine vorbeikamen, schwenkten einige Leidtragende ab; ihre Empfindung nahm plötzlich eine andere Richtung. Die Mehrzahl folgte. So erreichten wir die Kirche…
Die acht Bayern hatten inzwischen die Bahre mit dem Sarg in das Mittelschiff gestellt, unmittelbar in die Nähe des Chores… Die geistlichen Herren nahmen innerhalb des Chores Platz; dann begannen die Litaneien. Es klang misererehaft. Ich konnte den Worten nicht folgen und betrachtete deshalb die Kirche. Sie war in gutem Stil aus gutem Materiale gebaut, dabei mit Bildern reich geschmückt… Nun waren die Litaneien vorüber. Die Geistlichen erschienen neben den Sarg und lasen die Gebete, ein Chorknabe schwenkte den Weihkessel; dann tat der fungierende Priester dasselbe. Damit war der kirchliche Akt beschlossen.
Kirche Mariä Himmelfahrt, Chateau d'Oléron
Der Zug setzte sich aufs neue in Bewegung, der Begräbnisstätte zu. Es war noch eine hübsche Strecke… Endlich sahen wir die weiße Mauer, das Tor stand auf und der Zug bog ein. Die Stätte machte einen guten Eindruck; Kreuze und Denkmäler, alles in Marmor, man ehrte die Toten hier. Dazu sprach aus allem eine gewisse Wohlhabenheit Zypressenbäume und wilder Lorbeer fassten die Gänge und Steige ein…
Nun hielten wir am Grabe; die tonige, graublaue Schlickerde lag uns zur Seite. Der Nordwest ging immer schärfer… Der Sarg wurde zur Grube getragen und dann gesenkt... Noch ein kurzes Gebet, dann griffen die Mutigsten in den nassen Schlick und warfen einen Erdkloß hinunter. Damit war es getan. In drei Minuten war alles verschwunden, der Friedhof leer... Ich gedachte derer, die, fern der Heimat des Toten, dieser Stunde nicht gedachten. Dann an den Hagrosen vorbei, von denen auch nicht eine auf sein Grab gelegt werden wird, trat auch ich den Rückweg an.
So stirbt man in der Fremde.
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)