01.05.2020, 19:32
Da sprach der Alte: „Weit, weit von hier liegt in tiefer Einsamkeit eine uralte Kirche, die ist fest verwahrt mit eisernen Türen, um sie ist ein tiefer Wallgraben gezogen, über den führt keine Brücke, und in der Kirche da fliegt ein Vogel wohl ab und auf, er isst nicht und trinkt nicht und stirbt nicht, und niemand vermag ihn zu fangen, und so lange der Vogel lebt, so lange lebe auch ich, denn in dem Vogel ist mein Herz.“ Da wurde die Braut traurig, dass sie dem Herzen ihres Alten nichts zu Liebe tun konnte, und die Zeit wurde ihr lang, wenn sie so allein saß, denn der Alte war fast den ganzen Tag auswärts.
Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen vorüber, der grüßte sie, und sie grüßte ihn, und sie gefiel ihm, und er kam näher, und sie fragte ihn, wohin er reise, woher er komme.
„Ach!“, seufzte der junge Gesell. „Ich bin gar traurig. Ich hatte noch sechs Brüder, die sind von dannen gezogen, sich Bräute zu holen, und mir, dem Jüngsten, wollten sie auch eine mitbringen, sind aber nimmer wieder gekommen, und da bin ich nun auch fort vom Hause und will meine Brüder suchen.“
„Ach, lieber Gesell!“, rief die Braut, „da brauchst du nicht weiter zu gehen! Erst setze dich und iss und trinke etwas, und dann lass dir erzählen!“ Und gab ihm zu essen und zu trinken und erzählte ihm, wie seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie ihre Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach Hause hätten führen wollen, und dass sie für ihn, ihren Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte sie bei sich behalten und die andern in graue Steine verwandelt habe. Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte dazu, und auch, dass der Alte kein Herz in der Brust habe und dass es weit, weit weg sei in einer festen Kirche und in einem unsterblichen Vogel. Der Bräutigam sagte: „Ich will fort, ich will den Vogel suchen, vielleicht hilft mir Gott, dass ich ihn fange.“
„Ja, das tue, daran wirst du wohl tun, dann werden deine Brüder und meine Schwestern wieder Menschen werden!“ Da packte sie dem Wandergesellen viel zu essen und zu trinken ein und gab es ihm mit und wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seine Fahrt.
Da kam einmal ein junger Wandergesell am Häuschen vorüber, der grüßte sie, und sie grüßte ihn, und sie gefiel ihm, und er kam näher, und sie fragte ihn, wohin er reise, woher er komme.
„Ach!“, seufzte der junge Gesell. „Ich bin gar traurig. Ich hatte noch sechs Brüder, die sind von dannen gezogen, sich Bräute zu holen, und mir, dem Jüngsten, wollten sie auch eine mitbringen, sind aber nimmer wieder gekommen, und da bin ich nun auch fort vom Hause und will meine Brüder suchen.“
„Ach, lieber Gesell!“, rief die Braut, „da brauchst du nicht weiter zu gehen! Erst setze dich und iss und trinke etwas, und dann lass dir erzählen!“ Und gab ihm zu essen und zu trinken und erzählte ihm, wie seine Brüder in die Stadt gekommen, und wie sie ihre Schwestern und sie selbst als Bräute mit sich nach Hause hätten führen wollen, und dass sie für ihn, ihren Gast, bestimmt gewesen, und wie der Alte sie bei sich behalten und die andern in graue Steine verwandelt habe. Das alles erzählte sie ihm aufrichtig und weinte dazu, und auch, dass der Alte kein Herz in der Brust habe und dass es weit, weit weg sei in einer festen Kirche und in einem unsterblichen Vogel. Der Bräutigam sagte: „Ich will fort, ich will den Vogel suchen, vielleicht hilft mir Gott, dass ich ihn fange.“
„Ja, das tue, daran wirst du wohl tun, dann werden deine Brüder und meine Schwestern wieder Menschen werden!“ Da packte sie dem Wandergesellen viel zu essen und zu trinken ein und gab es ihm mit und wünschte ihm alles Glück und Gottes Segen auf seine Fahrt.
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
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