25.04.2023, 14:40
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 25.04.2023, 14:53 von Fredeswind.)
Der junge Drechsler langte zur Abendzeit in dem Wirtshaus an, wo seine Brüder waren betrogen worden. Er legte seinen Ranzen vor sich auf den Tisch und fing an zu erzählen, was er alles Merkwürdige in der Welt gesehen habe: „Ja,“ sagte er, „man findet wohl ein Tischleindeckdich, einen Goldesel und dergleichen - lauter gute Dinge, die ich nicht verachte; aber das ist alles nichts gegen den Schatz, den ich mir erworben habe und in meinem Sack da mit mir führe.“
Der Wirt spitzte die Ohren: „Was in aller Welt mag das sein?“, dachte er, „der Sack ist wohl mit lauter Edelsteinen angefüllt; den sollte ich billig auch noch haben, denn aller guten Dinge sind drei.“ Als Schlafenszeit war, streckte sich der Gast auf die Bank und legte seinen Sack als Kopfkissen unter. Der Wirt, als er meinte, der Gast läge in tiefem Schlaf, ging herbei, rückte und zog ganz sachte und vorsichtig an dem Sack, ob er ihn vielleicht wegziehen und einen andern unterlegen könnte.
Der Drechsler aber hatte schon lange darauf gewartet; wie nun der Wirt eben einen herzhaften Ruck tun wollte, rief er: „Knüppel aus dem Sack!“ Alsbald fuhr das Knüppelchen heraus, dem Wirt auf den Leib und rieb ihm die Nähte, dass es eine Art hatte. Der Wirt schrie um Erbarmen, aber je lauter er schrie, desto kräftiger schlug der Knüppel den Takt dazu auf dem Rücken, bis er endlich erschöpft zur Erde fiel.
Da sprach der Drechsler: „Wenn du das Tischchendeckdich und den Goldesel nicht wieder herausgibst, so soll der Tanz von neuem angehen.“ - „Ach nein“, rief der Wirt ganz kleinlaut, „ich gebe alles gern wieder heraus, lasst nur den verwünschten Kobold wieder in den Sack kriechen!“ Da sprach der Geselle: „Ich will Gnade für Recht ergehen lassen, aber hüte dich vor Schaden!“ Dann rief er: "Knüppel in den Sack!“, und ließ ihn ruhen.
Der Drechsler zog am andern Morgen mit dem Tischchendeckdich und dem Goldesel heim zu seinem Vater.
Fredeswind Märchenschatztruhe
Inhalt Fredeswinds Märchenschatztruhe
"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"
Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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