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Drei-Bilder-Geschichte: Die besengte Glückssau
#1
Die besengte Glückssau

Es war einmal ein alter Soldat,
dem war nur ein einziger Kamerad geblieben. Sein ganz persönliches Glücksschwein, das er am Ende seiner ersten Schlacht als kleines Ferkel in den Ruinen eines Bauernhofes gefunden hatte. Er hatte es nie übers Herz bringen können, es schnöde zu schlachten. Auch wenn es sich angeblich mit vollem Bauch besser kämpfen lässt. In der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Feldzuges hatte er es „Frieda“ getauft. „Fortuna“ wäre vielleicht treffender gewesen, denn mit dem Schweinchen an seiner Seite verließ ihn zumindest niemals das Glück.


   

 
Doch es dauerte noch viele, viele Jahre, bis endlich der Friede im Lande ausbrach. Der siegreiche König überschüttete die überlebenden Veteranen mit Dank und seine Generäle mit Titeln und Grundbesitz. Der alte Soldat erhielt eine vergoldete Augenklappe, die aus Kostengründen nur aus dünnstem Messingblech bestand. Aber er hatte ja seinen eigenen, viel wertvolleren und sogar mobilen Grunzbesitz: Frieda. Ohne sein Glücksschwein wäre der Krieg für ihn weitaus mehr ins Auge gegangen. Auch wenn sie etwas müffelte. In ihrem Job als Lebensretter war sie Vollprofi. Da konnten Legionen von Schutzengeln nicht gegenan stinken.
 
Sein neuer Marschbefehl führte beide an ihren wohl letzten Einsatzort vor der schmalen Rente. Eine uralte halbverfallene Bastei im Grenzhinterland. Hier war er nun der einzige Türmer auf weiter Flur. Doch statt zu türmen, versah er seinen Dienst weiter genau nach Vorschrift. Jeden Morgen zog er des Königs Rock an – nein, keine textile Reliquie einer Drag-Queen, sondern seine Uniform, die er so strahlend sauber hielt, wie er nur konnte. Frieda hatte zum Thema Reinlichkeit andere Ansichten – aber sie war auch kein loyaler, auf den royalen Dienstherren vereidigter Beamter.


   

 
Nach dem kargen Frühstück begab sich der alte Soldat schnurstracks auf seinen Wachposten, hoch auf dem höchsten – weil einzig stehen gebliebenem - Turm. Jeden Tag verabschiedete er sich bis zum Abendmahl von Frieda, stieg eine knirschende lange Leiter hinauf, schwang sich durch ein verfallenes Fenster und kletterte, bis sich der blaue Himmel direkt über ihm befand. Was für eine herrliche Aussicht! Und was für ein desolater Bauzustand.


   

 
Die sich langsam verkrümelnden Mauern waren flechten- efeu- und moosüberwuchert.
Einmal monatlich polierte er mit seinem Taschentuch und etwas Spucke das bronzene Rohr seiner Festungskanone so mattblank, wie einen beschlagenen Spiegel. Abfeuern konnte er sie ohnehin nicht. Weder war er Artillerist noch Autodidakt. Und Munition schien es schon seit Jahren nicht mehr zu geben.
 
Im meilenweiten Umkreis wohnte niemand, ausser dem strebsamen Meisenpärchen, das sich im verstaubten Kanonenrohr ein gemütliches, wertsteigerndes Mehrfamilien-Nest baute. Vor lauter ameisenhafter Eigenleistung kamen die beiden aber kaum zum Vö…, äh, Verschnaufen, so dass der Nachwuchs, auf den sich der alte Soldat schon freute, bisher ausblieb. Nun ja, auch kükenlose Karriere-Piepmätze können eine Meise haben.


   

 
Selbst Besucher waren fast so selten, wie anrückende feindliche Horden. Bis auf Frieda sah er monatelang kein Schwein. Auch kein humanoides. 
So ging es tagein, tagaus. Keine Eile, nur Langeweile.


   


Doch alle Jubeljahre, an besonders sonnigen Tagen, kehrte der Pinselschwinger Carl Spitzweg seinem verregneten Münchener Atelier den Rücken, baute vor der Basteimauer seine Staffelei auf und ölte skurrile Szenen biedermeierlicher Ruinenromantik auf die Leinwand. Der alte Soldat hatte keinen Einwand. Copyright war für die breite Masse damals wie heute kein Thema und die zeitgenössische Maltechnik mit wochenlangen Trocknungszeiten ersparte ihm die nervigen Aufwischarbeiten am Basteiboden, die teilungswütige Touris heute mit ihren letzten Selfies, live und im freien Fall von der Mauerkrone, beim Aufschlag in der Realität anrichten.


(Fortsetzung folgt...)
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#2
Und wo hängen die Bilder des Meisters? Im Louvre könnte doch sein oder?
Die Geschichte gefällt mir auch wenn ich noch gar nicht weiß was das für eine Geschichte wird? Aber ich lass mich sehr gerne überraschen.
Kavalier
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#3
toller Anfang, die kleine Burg gefällt mir sehr, auch die Geschichte bisher.... daumen daumen daumen
Phantasie ist wichtiger als Wissen, den Wissen ist begrenzt!!!

-Albert Einstein- Opi Opi Opi
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#4
(13.04.2020, 12:45)Aquarius schrieb: Und wo hängen die Bilder des Meisters? Im Louvre könnte doch sein oder?

Es gab von Spitzweg mehrere Bilder vom strickenden Soldaten. (war damals wohl eine übliche Beschäftigung während langweiliger Wachabende) Dieses spezielle befindet sich in einer Privatsammlung...

Aber ich möchte dieser wunderschönen Geschichte nicht vorgreifen. Bitte weitererzählen!
    
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#5
(13.04.2020, 14:37)Ischade schrieb:
(13.04.2020, 12:45)Aquarius schrieb: Und wo hängen die Bilder des Meisters? Im Louvre könnte doch sein oder?

Es gab von Spitzweg mehrere Bilder vom strickenden Soldaten. (war damals wohl eine übliche Beschäftigung während langweiliger Wachabende) Dieses spezielle befindet sich in einer Privatsammlung...

Aber ich möchte dieser wunderschönen Geschichte nicht vorgreifen. Bitte weitererzählen!

Oh und ich dachte die Figur ist ausgedacht ... ups na Rotwerd ja man kann ja nicht jeden kennen. Hab den Herrn mal gegoogelt, seine Bilder finde ich doch ganz ordentlich Zwink .
Danke für den Hinweis! Danke Wider was dazugelernt, was ich übrigens immer ganz klasse finde.
Kavalier
Sören
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#6
Direkt neben dem Wachtturm befand sich ein merkwürdiger Anbau. Eine quadratische Erweiterung ohne jegliche Fenster und Türen. Dafür aber mit unbenutzbarer Dachterrasse.

Seit langem schmunzelte der alte Soldat über den wirren Architekten, der sowas erbaut hatte. War dieses Minibollwerk innen so hohl wie der Kopf des Konstrukteurs? Oder durch und durch Granit, wie die Schädel seiner früheren Kommandeure? Immerhin hatte ausgerechnet dieser grundsolide Klotz dem Zahn der Zeit am stärksten getrotzt. Von Verfall keine Spur. Manchmal, an stillen Tagen, kam es dem Soldaten sogar so vor, als höre er aus dem Inneren ein tiefes Schnurren, wie von einem zufriedene schlafenden alten Kater.


   


Doch dann kam der Tag, der alles änderte. Hier, am ereignislosen Ende der Welt, drohte dieselbe ohne Vorwarnung in Scherben zu gehen. Beißender Rauch drang aus den uralten Mauerritzen. Gefolgt von einem fast überirdischen Leuchten, das sich zielstrebig durch die Fugen frass, als würde Carl mit einem glühenden Bleistift den Schlund zur Hölle skizzieren.

Schwefliger Geruch ließ dem Soldaten den Atem stocken. Nase und Kehle machten schlagartig dicht. Er versuchte, den Würgereiz zu unterdrücken und Luft zu schnappen. Dagegen duftete selbst Frieda, als sei sie einem Vollbad in kölnisch Wasser entstiegen

„Groooaaaarrrr!!!!“ durchbrach ein donnerndes, urzeitliches, apokalyptisches Grollen die Stille. Die grundsolide Basteimauer schwankte und zitterte wie Espenlaub. Die Beine des Soldaten taten es ihr nach. Der Boden bebte. Scheinbar unzerstörbarer Mörtel zerplatzte zu Puderzucker und mit ihm der langjährige Traum vom anhaltenden Frieden im Lande.

„Groooaaaarrrr!!!!“. Ein schuppiger, zorngeröteter Drachenschädel fegte fauchend ein scheunentorgrosses Steingefüge beiseite, erblickte seit Jahrhunderten erstmalig wieder das Tageslicht und starrte wild… in die neugierigen Schweinsäuglein von Frieda.


   


Kurzerhand schaltete das schlachterprobte Borstenvieh den Rückwärtsgang ein. Hier zahlte sich der jahrelange Militärdrill aus. Wilde Panik war keine Option. Zum Glück war sie im „taktischen Rückzug“ ebenso schnell, wie beim Sturmangriff. Wenn nicht sogar deutlich schneller.

Beinahe hätte Frieda dabei Spitzwegs Staffelei gerammt. Musste der Meistermaler sich ausgerechnet heute hierher verirren? Seine Biedermeier-Idylle konnte er sich jedenfalls abschminken. Kitschige Motive für zahlungskräftige Kunden würden sein geringstes Problem sein.


   


Während der Drache sich langsam und eindrucksvoll im wabernden Dunst aufrichtete wie ein Kreisklasse-Bodybuilder im Trockeneisnebel, erstarrte der alte Soldat.

Frieda war in Gefahr! Und er selbst sass im Turm fest. Ein Logenplatz des Grauens. Hatte ihr Glück sie beide zum ersten Mal verlassen? Oder war es ihnen gar nicht erst an diesen AdW gefolgt?

Neben der Staffelei schlug derweil ein unsichtbarer Geistesblitz ein. Der geniale Spitzweg erkannte, dass er hier auf dem Holzweg war. Von bösen Bilderstürmern hatte er schon gelesen. Sicher, die Verteidigung der Kunstfreiheit war ein hohes Gut. Es ging schliesslich nicht nur um ihn selbst, sondern um das kulturelle Erbe zukünftiger Generationen. Sollte er sich diesem Alptraumexemplar also heldenhaft  entgegenstellen? Die Festungsmauer war in Sekundenschnelle gefallen. Welchen Schutz bot da seine fadenscheinige Leinwand? Carl überlegte nicht lange.


   


Noch bevor er den Gedanken zu Ende brachte, hatte er sich schon tapfer geschlagen – in die rettenden Büsche. An diesem denkwürdigen Tag lag die Kunst nicht in der Mal- sondern in der Überlebenstechnik.

Keinen Wimpernschlag zu früh! Schon schoss ein lodernder Flammenstrahl aus der Kehle des wutschnaubenden Untiers!


   


Frieda war entsetzt. Mit dem Kopf durch die Wand – das erlebte sie des Öfteren. Sie selbst hatte ja einen rosa Dickschädel. Manche Deppen ohne Kinderstube lieesen halt mal die sprichwörtliche Sau raus. Aber dies war zuviel. Auch wenn der Drache damit ganz nebenbei die Einbrennlackierung erfunden hatte. So ging man nicht mit begnadeten Pinselern und ihren Meisterwerken um. Carl verfiel in Schockstarre und ernste Selbstzweifel. Kritiker hatten ihn schon oft zerrissen. Dafür zerriss er dann deren gedruckte Schmierereien und sie waren praktisch quitt. Doch dieses vernichtende Urteil erschöpfte sich nicht in Worten. Man hatte ihn gebranntmarkt, seine Staffelei zum Scheiterhaufen gemacht, um sein Werk auszulöschen. Ihm war hundeelend.


   


Unterdessen hatte der alte Soldat beherzt zu den Waffen gegriffen. Oder es zumindest versucht. So furchteinflössend seine mächtige Kanone auf unbedarfte Eindringlinge wirken mochte. Sie war nutzlos. Selbst wenn er sie irgendwie hätte laden können, tobte das Monster am Fuß des Turms völlig ausserhalb des möglichen Schussfeldes. Unerreichbar. Sollte er etwa das tonnenschwere Bronzerohr aus der Lafette heben und auf den unerbittlichen Feind herunterwerfen, wie anno dunnemals die Ritter, die ihre Belagerer mit allerlei Steingrüßen von oben eindeckten? Die Lage tendierte gegen hoffnungslos, und er, der einzige Vertreter der Staatsmacht auf weiter Flur, stand hilflos da. Mit einer artilleristischen Dummy-Deko und einem Blumenstrauss.

Eilig ergriff der alte Soldat seine Muskete und machte sich auf den Weg nach unten. So langsam wurde ihm klar, warum er diesen scheinbar so sinnlosen Posten erhalten hatte. Der bunkerartige Anbau war ein Kerker, in dem etwas uraltes, Böses sicher verwahrt werden sollte. In alle Ewigkeit. Nur, dass auch Ewigkeiten irgendwann ihr MHD überschreiten. Dann war der Festungsbauer aus grauer Vorzeit also alles andere als ein Versager gewesen. Und er selbst war kein trauriger Türmer, sondern ein Drachenwärter wider Wissen. Die Erkenntnis brach über ihn herein, wie ein Trocken-Tsunami. Eine echte Monsterwelle hätte den Feuerschlund des Drachens vielleicht geflutet. Was hätte er jetzt für einen einzigen Eimer Löschwasser gegeben! Leider erschöpften sich die erreichbaren Feuchtgebiete in den bemoosten Basteiwänden. Zumindest konnte das Schwarzpulver für seinen Schiessprügel nicht feucht werden. Er hatte keines. Die Logistik der königlichen Truppe war eine Katastrophe für sich.


   


„Groooaaaarrrr!!!!“ Der Drache geriet immer mehr in Rage. Endlich war seine Stunde gekommen, die Mauer gefallen, die Freiheit so nah. Seine ledrigen Schwingen knarzten von der jahrhundertelangen Untätigkeit. Das würde sich geben, sobald er sie entfaltet und sich kraftvoll in den Himmel geschwungen hatte. Mit etwas Anlauf hätte er die lächerlichen Goldfesseln locker aus den Halterungen gerissen. Und doch verriet ihm das Gewusel und Geklirre, dass er sich hoffnungslos verheddert hatte. Er war zu ungeduldig gewesen. Ausgerechnet er, ein mythisches Wesen von fast unbegrenzter Lebenspanne.  Eine Verkettung unglücklicher Umstände? Nein, sein Fehler. Sein Zorn wuchs ins Unendliche. Und weil selbst die mächtigsten Drachen von jeher zutiefst narzistische Persönlichkeiten hegen, die eigene Unprofessionalität nicht wirklich eingestehen können, brauchte er zum Abreagieren schnellstens Sündenböcke. Egal ob Mensch oder Vieh. Hauptsache brennbar und leidensfähig. Fast hätte er laut und boshaft gelacht. Aber die pyrotechnische Magensäure kam ihm bereits wieder hoch.

Dem alten Soldaten blieb also nur der Bajonettangriff mit blanker Klinge. Ohne sich mit seiner Einschätzung weit aus dem Fenster zu lehnen, war klar: Gegen den Schuppengepanzerten Flammenwerfer hatte er nicht den Hauch einer Chance. Aber im verbalen Nahkampf war der alte Soldat unschlagbar. Vielleicht konnte er mit einigen Sticheleien und Verunglimpfungen das Drachenfeuer auf sich ziehen und wenigstens Frieda und Carl zu Flucht verhelfen?
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#7
"Rosa Rösti" und die anderen Wortspiele....herrlich Lachener (ich hab Tränen gelacht) 
Jetzt bin aber mal gespannt, wie der Soldat die Situation meistert und ob alle mit heiler Haut davon kommen. grübeln
Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
aber du kannst neu anfangen und das Ende ändern.

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#8
der Drache ist cool, die Geschichte der Hammer, einfach genial und ich freue mich auf die Fortsetzung.... Cool 




Zehn Zehn Zehn Zehn Zehn Zehn Zehn Zehn
Phantasie ist wichtiger als Wissen, den Wissen ist begrenzt!!!

-Albert Einstein- Opi Opi Opi
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#9
Eine der besten Geschichten, die ich seit langer Zeit gelesen habe. Ich bin sehr begierg darauf zu erfahren, wie es weitergeht!
    
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#10
Lachener Lachener Lachener Lachener Lachener

Was für eine Geschichte das Schweinchen hat es mir irgendwie angetan! Hoffentlich wird es nicht gegrillt!
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