Die besengte Glückssau
Es war einmal ein alter Soldat,
dem war nur ein einziger Kamerad geblieben. Sein ganz persönliches Glücksschwein, das er am Ende seiner ersten Schlacht als kleines Ferkel in den Ruinen eines Bauernhofes gefunden hatte. Er hatte es nie übers Herz bringen können, es schnöde zu schlachten. Auch wenn es sich angeblich mit vollem Bauch besser kämpfen lässt. In der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Feldzuges hatte er es „Frieda“ getauft. „Fortuna“ wäre vielleicht treffender gewesen, denn mit dem Schweinchen an seiner Seite verließ ihn zumindest niemals das Glück.
Doch es dauerte noch viele, viele Jahre, bis endlich der Friede im Lande ausbrach. Der siegreiche König überschüttete die überlebenden Veteranen mit Dank und seine Generäle mit Titeln und Grundbesitz. Der alte Soldat erhielt eine vergoldete Augenklappe, die aus Kostengründen nur aus dünnstem Messingblech bestand. Aber er hatte ja seinen eigenen, viel wertvolleren und sogar mobilen Grunzbesitz: Frieda. Ohne sein Glücksschwein wäre der Krieg für ihn weitaus mehr ins Auge gegangen. Auch wenn sie etwas müffelte. In ihrem Job als Lebensretter war sie Vollprofi. Da konnten Legionen von Schutzengeln nicht gegenan stinken.
Sein neuer Marschbefehl führte beide an ihren wohl letzten Einsatzort vor der schmalen Rente. Eine uralte halbverfallene Bastei im Grenzhinterland. Hier war er nun der einzige Türmer auf weiter Flur. Doch statt zu türmen, versah er seinen Dienst weiter genau nach Vorschrift. Jeden Morgen zog er des Königs Rock an – nein, keine textile Reliquie einer Drag-Queen, sondern seine Uniform, die er so strahlend sauber hielt, wie er nur konnte. Frieda hatte zum Thema Reinlichkeit andere Ansichten – aber sie war auch kein loyaler, auf den royalen Dienstherren vereidigter Beamter.
Nach dem kargen Frühstück begab sich der alte Soldat schnurstracks auf seinen Wachposten, hoch auf dem höchsten – weil einzig stehen gebliebenem - Turm. Jeden Tag verabschiedete er sich bis zum Abendmahl von Frieda, stieg eine knirschende lange Leiter hinauf, schwang sich durch ein verfallenes Fenster und kletterte, bis sich der blaue Himmel direkt über ihm befand. Was für eine herrliche Aussicht! Und was für ein desolater Bauzustand.
Die sich langsam verkrümelnden Mauern waren flechten- efeu- und moosüberwuchert.
Einmal monatlich polierte er mit seinem Taschentuch und etwas Spucke das bronzene Rohr seiner Festungskanone so mattblank, wie einen beschlagenen Spiegel. Abfeuern konnte er sie ohnehin nicht. Weder war er Artillerist noch Autodidakt. Und Munition schien es schon seit Jahren nicht mehr zu geben.
Im meilenweiten Umkreis wohnte niemand, ausser dem strebsamen Meisenpärchen, das sich im verstaubten Kanonenrohr ein gemütliches, wertsteigerndes Mehrfamilien-Nest baute. Vor lauter ameisenhafter Eigenleistung kamen die beiden aber kaum zum Vö…, äh, Verschnaufen, so dass der Nachwuchs, auf den sich der alte Soldat schon freute, bisher ausblieb. Nun ja, auch kükenlose Karriere-Piepmätze können eine Meise haben.
Selbst Besucher waren fast so selten, wie anrückende feindliche Horden. Bis auf Frieda sah er monatelang kein Schwein. Auch kein humanoides.
So ging es tagein, tagaus. Keine Eile, nur Langeweile.
Doch alle Jubeljahre, an besonders sonnigen Tagen, kehrte der Pinselschwinger Carl Spitzweg seinem verregneten Münchener Atelier den Rücken, baute vor der Basteimauer seine Staffelei auf und ölte skurrile Szenen biedermeierlicher Ruinenromantik auf die Leinwand. Der alte Soldat hatte keinen Einwand. Copyright war für die breite Masse damals wie heute kein Thema und die zeitgenössische Maltechnik mit wochenlangen Trocknungszeiten ersparte ihm die nervigen Aufwischarbeiten am Basteiboden, die teilungswütige Touris heute mit ihren letzten Selfies, live und im freien Fall von der Mauerkrone, beim Aufschlag in der Realität anrichten.
(Fortsetzung folgt...)
Es war einmal ein alter Soldat,
dem war nur ein einziger Kamerad geblieben. Sein ganz persönliches Glücksschwein, das er am Ende seiner ersten Schlacht als kleines Ferkel in den Ruinen eines Bauernhofes gefunden hatte. Er hatte es nie übers Herz bringen können, es schnöde zu schlachten. Auch wenn es sich angeblich mit vollem Bauch besser kämpfen lässt. In der Hoffnung auf ein schnelles Ende des Feldzuges hatte er es „Frieda“ getauft. „Fortuna“ wäre vielleicht treffender gewesen, denn mit dem Schweinchen an seiner Seite verließ ihn zumindest niemals das Glück.
Doch es dauerte noch viele, viele Jahre, bis endlich der Friede im Lande ausbrach. Der siegreiche König überschüttete die überlebenden Veteranen mit Dank und seine Generäle mit Titeln und Grundbesitz. Der alte Soldat erhielt eine vergoldete Augenklappe, die aus Kostengründen nur aus dünnstem Messingblech bestand. Aber er hatte ja seinen eigenen, viel wertvolleren und sogar mobilen Grunzbesitz: Frieda. Ohne sein Glücksschwein wäre der Krieg für ihn weitaus mehr ins Auge gegangen. Auch wenn sie etwas müffelte. In ihrem Job als Lebensretter war sie Vollprofi. Da konnten Legionen von Schutzengeln nicht gegenan stinken.
Sein neuer Marschbefehl führte beide an ihren wohl letzten Einsatzort vor der schmalen Rente. Eine uralte halbverfallene Bastei im Grenzhinterland. Hier war er nun der einzige Türmer auf weiter Flur. Doch statt zu türmen, versah er seinen Dienst weiter genau nach Vorschrift. Jeden Morgen zog er des Königs Rock an – nein, keine textile Reliquie einer Drag-Queen, sondern seine Uniform, die er so strahlend sauber hielt, wie er nur konnte. Frieda hatte zum Thema Reinlichkeit andere Ansichten – aber sie war auch kein loyaler, auf den royalen Dienstherren vereidigter Beamter.
Nach dem kargen Frühstück begab sich der alte Soldat schnurstracks auf seinen Wachposten, hoch auf dem höchsten – weil einzig stehen gebliebenem - Turm. Jeden Tag verabschiedete er sich bis zum Abendmahl von Frieda, stieg eine knirschende lange Leiter hinauf, schwang sich durch ein verfallenes Fenster und kletterte, bis sich der blaue Himmel direkt über ihm befand. Was für eine herrliche Aussicht! Und was für ein desolater Bauzustand.
Die sich langsam verkrümelnden Mauern waren flechten- efeu- und moosüberwuchert.
Einmal monatlich polierte er mit seinem Taschentuch und etwas Spucke das bronzene Rohr seiner Festungskanone so mattblank, wie einen beschlagenen Spiegel. Abfeuern konnte er sie ohnehin nicht. Weder war er Artillerist noch Autodidakt. Und Munition schien es schon seit Jahren nicht mehr zu geben.
Im meilenweiten Umkreis wohnte niemand, ausser dem strebsamen Meisenpärchen, das sich im verstaubten Kanonenrohr ein gemütliches, wertsteigerndes Mehrfamilien-Nest baute. Vor lauter ameisenhafter Eigenleistung kamen die beiden aber kaum zum Vö…, äh, Verschnaufen, so dass der Nachwuchs, auf den sich der alte Soldat schon freute, bisher ausblieb. Nun ja, auch kükenlose Karriere-Piepmätze können eine Meise haben.
Selbst Besucher waren fast so selten, wie anrückende feindliche Horden. Bis auf Frieda sah er monatelang kein Schwein. Auch kein humanoides.
So ging es tagein, tagaus. Keine Eile, nur Langeweile.
Doch alle Jubeljahre, an besonders sonnigen Tagen, kehrte der Pinselschwinger Carl Spitzweg seinem verregneten Münchener Atelier den Rücken, baute vor der Basteimauer seine Staffelei auf und ölte skurrile Szenen biedermeierlicher Ruinenromantik auf die Leinwand. Der alte Soldat hatte keinen Einwand. Copyright war für die breite Masse damals wie heute kein Thema und die zeitgenössische Maltechnik mit wochenlangen Trocknungszeiten ersparte ihm die nervigen Aufwischarbeiten am Basteiboden, die teilungswütige Touris heute mit ihren letzten Selfies, live und im freien Fall von der Mauerkrone, beim Aufschlag in der Realität anrichten.
(Fortsetzung folgt...)