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Fredeswinds Märchenschatztruhe
Mr. Palazot rückte seinen Stuhl vom Kamin an den Tisch, stellte die üblichen Fragen und machte einige Notizen, nachdem ich Uhr und Geld und ein kleines Perlmuttermesser, das gerade ausgereicht haben würde, einen Maikäfer zu ermorden, bei ihm deponiert hatte.

   


Nachdem so alles Dienstliche abgemacht worden war, glättete sich die Stirn des Alten; er warf ein neues Scheit in die Flamme und forderte mich auf, an seiner Mahlzeit teilzunehmen. Ich lehnte dankend ab, bat aber um ein Glas Wasser und einen Löffel Cognac. Mein alter Gascogner nickte, gab in die Küche hinaus die Ordre.

   


Alsbald erschien Madame Palazot, um mir das Gewünschte zu bringen. Wir saßen nun zu dritt um den Tisch und sprachen von Krieg und Frieden. Die üblichen Trivialitäten wurden ausgetauscht und aufs Neue festgestellt, dass Krieg eine sehr böse und Friede eine sehr schöne Sache sei.

   


Nachdem wir uns innerhalb dieses Glaubensbekenntnisses gefunden, wurden die Herzen immer offener. Madame, eine herzensgute Frau, holte das Bild ihres Sohnes, eines hübschen Husaren-Offiziers, dessen Regiment die großen Kavalleriechargen bei Mars la Tour mitgemacht hatte und von dem seit der Einschließung von Metz keine Nachrichten mehr eingetroffen waren: „Il est mort“ (Er ist tot), — dabei liefen der Alten die Tränen über das Gesicht.

   


Eine halbe Stunde später kam Besuch, ein junger Advokat, natürlich Republikaner. Mr. Palazot war Orleanist. Die Debatte wurde immer lebhafter, der Advokat sprach sich mehr und mehr in Feuer und Flamme hinein. Mir schwindelte der Kopf. Die furchtbaren Aufregungen dieses Tages, die sich immer wieder aufdrängende Frage: „Was wird?“, die Diskussionen in einer fremden Sprache, — eine völlige Erschöpfung kam über mich und ich bat, mich in mein Zimmer zuführen. Ich glaube, ich sagte wirklich Zimmer.

   
Fredeswind Märchenschatztruhe

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"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"

Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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Es mochte neun Uhr sein. Der Alte selbst nahm ein Licht und führte mich in mein ‚Zimmer‘ hinüber. Wir sagten einander gute Nacht, der Bolzen wurde vorgeschoben. Ich kann nicht sagen, dass mich ein Schrecken angewandelt hätte.

   


Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl einer innerlichen Befreiung; ich war allein. In diesem Wort liegen Himmel und Hölle. Ich empfand zunächst nur jenen. Der übliche Gefängnisapparat, der Schemel, der Wasserkrug, das eiserne Bett machten mich lächeln. Das Ganze hatte zudem nichts Abschreckendes.

   


Die Wände waren weiß, die Laken sauber, durch das breite Gitterfenster fiel das Mondlicht bis in die halbe Tiefe des Zimmers, drunten, in weißem Schimmer, lag die Stadt. Ich schritt eine Viertelstunde lang auf und ab; dann entkleidete ich mich und wickelte mich in die Decken. Ich war todmüde und hoffte seinen guten Schlaf zu tun. Es war anders beschlossen.

   
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"Wir meinen, das Märchen und das Spiel gehöre zur Kindheit: wir Kurzsichtigen! Als ob wir in irgendeinem Lebensalter ohne Märchen und Spiel leben möchten!"

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Na der Gefangene wird ja so gar nicht wie einer behandelt, kommt mir vor wie ein Abenteuerurlaub!
Interessant, waren halt ganz andere Zeiten die man nur schwer nachvollziehen kann.

Wie immer super gut erzählt! Danke

Kavalier
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(02.09.2019, 10:25)Aquarius schrieb: Na der Gefangene wird ja so gar nicht wie einer behandelt, kommt mir vor wie ein Abenteuerurlaub!
Interessant, waren halt ganz andere Zeiten die man nur schwer nachvollziehen kann.

Wie immer super gut erzählt! Danke

Kavalier

Danke Danke Rotwerd Rotwerd 

Ja, man erwartet es so gar nicht, dass Fontane als Gefangener so höflich behandelt wird, auch wenn der Bolzen schließlich vorgeschoben wird.

LG von der Märchenfee Fredeswind   fee
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Und wieder hört sie mittendrin auf...

Wut ... Rotwerd 

Grinsen 

Sehr interessante Geschichte! :dau:
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(02.09.2019, 19:13)Schoko-Queen schrieb: Und wieder hört sie mittendrin auf...

Wut ... Rotwerd 

Grinsen 

Sehr interessante Geschichte! daumen

Man muss doch den Spannungsbogen aufrecht erhalten!   Pfeif 
(Außerdem müssen die Bilder erst mal nach und nach fotografiert werden)

Danke Danke Rotwerd  

Morgen gibt's wieder welche!

LG von der Märchenfee Fredeswind  fee
 
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Ich mochte fünf Minuten geschlafen haben, als mich ein lautes Nagen und Knabbern weckte. Ich fuhr auf und horchte. Kein Zweifel, Ratten. Wie mir dabei zu Mute wurde, kann ich nicht beschreiben. Ich wusste sofort: einen Schlaf gibt es in dieser Nacht nicht mehr für dich.

   


Hätt‘ ich auch anders darüber gedacht, die Bewohner hinter Wand und Diele hätten mich bald eines andern belehrt. Nie hab’ ich diese Tiere mit solcher Frechheit sich gebärden sehen; sie waren überall; zupften und zerrten an den Decken, ließen sich durch mein Husten und Zurufen nicht im Geringsten stören...

   


Jeden Augenblick musst ich fürchten, dass sie mein Bett mit Sturm nehmen würden. Der erste Seufzer kam aus meiner Brust. Bis dahin hatt ich mich gehalten. Ich stand auf, kleidete mich an, wickelte mich in meine Reisedecke und setzte mich auf das Fensterbrett, das gerade breit genug war, meinem Körper Platz zu geben. In solcher Stellung, nur mal rechts, mal links meine Rückenlehne suchend, durchwachte ich die Nacht, zählte ich die Viertelstunden...

   


Als sie aber ihre Anstrengungen scheitern und mich beständig auf Wache sahen, gaben sie endlich ihre Chargen auf. Um vier Uhr wurde es still; um fünf Uhr dämmerte es. Um sieben Uhr erschien Mr. Palazot. Ich sagte ihm, dass ich nicht geschlafen hätte und weshalb nicht. Er lächelte. „Ja, ja.“ Am Kaminfeuer sollten jetzt die Gespräche vom Abend vorher wieder aufgenommen werden; aber, trotz angeborner Höflichkeit, — ich konnte nicht. 

   

 
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Eine Viertelstunde lang... hielt ich es aus; dann fragte ich ihn, ob er mir wohl erlauben wolle, in seinem Sorgenstuhl den versäumten Schlaf der Nacht nachzuholen? Er nickte, gab mir sein bestes Kissen und ich rückte mich zurecht. An Schlaf war natürlich nicht zu denken, auch lag mir nur an Ruhe, an der Möglichkeit, mir selber anzugehören.

   


So saß ich eine Stunde; das Feuer knisterte, der Alte las, Mad. Palazot ging leise, wie auf Socken, auf und ab. Mit dem Schlage neun wurde es draußen laut; schwere Schritte klangen auf der Treppe; drei Gendarmen große schöne Leute, traten ein. Unter ihrer Eskorte, so erfuhr ich jetzt, sollte ich nach der Festung Langres, zum Brigadegeneral gebracht werden.

   


Abschied war bald genommen: meiner freundlichen Wirtin sprach ich die Hoffnung aus, dass sie ihren Sohn wiedersehen möge. Sie weinte: „Jamais, jamais! " (Niemals, nie!) Der Bahnhof lag an der entgegengesetzten Seite der Stadt. Ich musste also die Hauptstraße der ganzen Länge nach passieren.

   


 Als ich so Haus bei Haus, an den Gruppen Neugieriger vorüber musste, ging mir die Strophe eines alten Liedes durch den Sinn:

„Mary Hamilton schritt die Straß entlang,
Alle Mädchen schauten herfür,
Die Männer und die Frauen
Standen fragend in der Tür.“

So das Lied. Mary Hamilton schritt auf einen Hügel zu, um dort zu sterben. Wohin schritt ich?

   
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Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844 - 1900)
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An deinen Bildern kann man sich gar nicht satt sehen, die sind echt toll geworden. daumen
Die Geschichte dazu natürlich auch...schön erzählt.
Du kannst nicht zurückgehen und den Anfang ändern,
aber du kannst neu anfangen und das Ende ändern.

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(03.09.2019, 21:23)Floranja89 schrieb: An deinen Bildern kann man sich gar nicht satt sehen, die sind echt toll geworden. daumen
Die Geschichte dazu natürlich auch...schön erzählt.

Danke Danke Rotwerd Rotwerd 

Danke für das Kompliment! 
Fontane sei Dank ist die Geschichte dazu wirklich gut erzählt.

LG von der Märchenfee Fredeswind    fee
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