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19.09.2019, 14:12
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30.11.2019, 17:34 von JTD.)
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Ich war ganz sicher, dass sich ein Volksaufstand vorbereite, dass ‚la terreur‘ heranzieht und seine Herrschaft proklamiert. Was war zu tun? Ich sah stumm vor mich hin und wartete ab. So ging es eine Viertelstunde, dann war alles wie abgeschnitten, das Geschrei draußen war vorübergezogen, alles still.
In Fieberhast lief ich alle Möglichkeiten durch; endlich hatte ich es: der andere Tag (2. November) war Totentag. Dies Glockenwehklagen hatte den Tag aller Seelen eingeläutet. Der Allerseelentag verlief ruhig, weniger Geräusch als sonst war äußerlich wahrnehmbar…
Noch am Abend des Allerseelentages teilte mir mein gardien-chef mit, dass ich am andern Morgen weiter eskortiert werden würde, wahrscheinlich nach Moulins. Er lud mich zugleich ein, ihn auf eine halbe Stunde in seiner Wohnung zu besuchen. Ich folgte der Einladung… und nahm dann Abschied von meinem freundlichen Wirt und Chef.
Ich kroch zum letzten Male unter das Plumeau und schlief wie in meinen besten Tagen.
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3. MOULINS
Sieben Uhr am andern Morgen nach Moulins. Die Stadt Lyon war noch ziemlich still; auf dem großen Platze, an dessen einer Seite unsere Straße mündete, sah ich jetzt ein Reiterstandbild des ersten Kaisers im ersten Morgenlicht aufragend. An der Stelle… exerzierte jetzt eine ganze Brigade Mobilgarde in breiten Zugfronten. Ein paar Minuten später hatten wir unsere Plätze im Kupee eingenommen...
Das Land war ziemlich reizlos auf vielen Meilen hin. Plötzlich traten wir nun in ein Gebiet, das sich vorgesetzt zu haben schien, diese bisherigen Eindrücke, alle auf einen Schlag zu balancieren. Die Hügel schoben und drängten sich so dicht aneinander, als wären sie aus einer Riesenspielzeugschachtel genommen…
Eine Stunde später fuhren wir in den Bahnhof des bischöflichen Moulins ein. Schon auf dem Bahnhofe wurden wir umringt. Allerhand Blaukittel gesellten sich hinzu, drohende Worte aussprechend. So ging es in die Stadt hinein, ein paar steile Gassen hinan… dann erreichten wir das Gefängnis. Unter Gezische und den üblichen Schmeichelworten verschwanden wir in dem niedrigen Portal.
Hier war kaum Aufenthalt. Wir traten alsbald auf einen Hof hinaus, der von verschiedenen Baulichkeiten, kreuz und quer, hoch und niedrig, umstellt war und warteten unseres Loses. Den Gendarmeriewachtmeister, dem ich meine mehrfach erwähnte ‚Bestallung‘ schon vorher überreicht hatte, machte inzwischen vor dem Büropersonal meinen Anwalt.
Einer der Herren zuckte verlegen die Achseln, kam mir aber bis zur Schwelle entgegen und bat mich einzutreten. Ich folgte. Es zog auf dem Hofe empfindlich nichtsdestoweniger wär ich lieber draußen geblieben, so stickig war die Luft des kleinen Zimmers, in dessen einer Ecke ich Platz nahm.
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Ein eiserner Ofen, gegen dessen ganzes Geschlecht ich eine Todfeindschaft unterhalte, stand glühend in der Mitte, und das Kohlengas legte sich wie betäubend um meine Sinne.Ich wurde aber mit Gewalt aus diesem Zustand gerissen: ein elegant gekleideter Herr stark, kurzhalsig, das Bild des Appoplektikus, erschien in der Tür und trat auf mich zu.
Er musterte mich…; so entspann sich folgende kurze Unterhaltung:
„Vous êtes arrêté?“ (Sie sind verhaftet worden?)
„Oui.“ (Ja)
„Où donc?“ (Wo denn?)
„A Domremy.“ (In Domremy)
„Comme espion?“ (Als Spion?)
„Oui.“
„Que vous êtes?!“ (Der Sie auch sind?!)
Ich hatte nicht die Geistesgegenwart genug, einfach zu schweigen, sondern lehnte die Bezeichnung kurz ab.
Dies war offenbar ein Fehler. Indessen man ist klüger, wenn man vom Rathaus kommt. Die Unterredung selbst habe ich hierher gesetzt, weil sie die einzige Insolenz (Unverschämtheit) ist, der ich während der ganzen Gefangenschaft ausgesetzt gewesen bin. Ich hatte viel zu ertragen, auf noch mehr zu verzichten, aber nach dieser Seite hin wurde ich geschont.
Inzwischen hatten die Beamten, denen mein Patent wieder viel Sorge gemacht hatte, über mich befunden und waren schlüssig geworden, dass ich, in meiner Eigenschaft als ‚officier supérieur‘ in der Infìrmerie (Krankenstube) des Hauses untergebracht werden sollte.
Man entschuldigte sich einigermaßen, dass man nichts besseres habe: das ganze Gefängnis sei ein alter Donjon (Festungsturm) der Grafen von Bourbon; sehr mittelalterlich, eine Art ‚Bastille‘, ‚tout à fait dans le Style avant 1793‘ (Ganz und gar im Stil der Zeit vor1793 gemacht), setzte der eine lächelnd hinzu.
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Wir stiegen nun eine Art Wendeltreppe hinauf, wie sie alle Türme haben, gerieten auf einen holprigen Steinflur, der von der Seite her durch ein kleines Türfenster ein spärliches Licht erhielt, und tappten nun auf eben diese Lichtstelle zu. Es war die ‚Infirmerie‘. Der Schließer schob einen Riegel zurück und wir traten ein.
Ich konnte im ersten Augenblick, bei dem Dunkel, das auch hier noch vorherrschte, nur wahrnehmen, dass wir uns in einem ungewöhnlich großen Raum befanden, ob Saal, Halle oder Kornboden, war zunächst nicht zu unterscheiden. Schreck und Heiterkeit wechselten in meiner Stimmung, alles war gespenstisch und lächerlich zugleich.
Der Schließer führte mich an einen Bettstand, der für mich hergerichtet worden war, legte mein Gepäck zu Füßen und wünschte mir eine gute Nacht. Ich setzte mich neben mein Bündel auf die Eisenkante des Bettes um zunächst einige Orientierungen zu gewinnen. Dies dauerte auch nicht lange.
Es war eine mächtige, quadratische Halle, in der ich mich befand, mit tiefen Fensternischen und zahlreichen Bettständen, alle mit dem Kopfende der Wand zu. Mitten durch den Raum, nach Art einer Brücke, war ein großer Bogen gespannt, der ein zweites Stockwerk trug. Unter diesem Bogen, genau im Zentrum des ganzen stand ein flacher Kochofen aus dem ein Lichtschein aufstieg derselbe, der uns... den Weg hierher gezeigt hatte.
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Nun, Fontane wollte das Land besichtigen...
Das tat er dann auch... wenn auch anders als geplant.
Ich bin fasziniert.
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20.09.2019, 19:51
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30.11.2019, 17:34 von JTD.)
(20.09.2019, 19:04)Schoko-Queen schrieb: Nun, Fontane wollte das Land besichtigen...
Das tat er dann auch... wenn auch anders als geplant.
Ich bin fasziniert.
Ja, das stimmt, auch wenn er überwiegend nur unfreiwillige Stadtrundgänge, Zugfahrten machte bzw. Gefängnisse kennelernte.
Geht auch heute noch weiter, weil ich am Wochenende nicht da bin.
Schließlich will ich euch nicht zu lange auf die Folter spannen.
LG von der Märchenfee Fredeswind
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Jetzt sah ich, bei eben diesem Schimmer, dass drei... Gestalten um den Ofen saßen. Mitunter, wenn einer der drei mit einem Schüreisen in die Glut fuhr, wurd es auf einen Moment etwas heller, und ich konnte erkennen, dass es blutjunge Leute waren, die hier fröstelnd und zusammengekauert sich an der spärlichen Glut zu wärmen suchten.
Ich trat jetzt an sie heran. Einer erhob sich, um mir seinen Stuhl anzubieten, was ich auch annahm. Ich versuchte nun ein Konversation; die Antworten blieben aber einsilbig, bis aus einer Ecke am Fenster her endlich meine Unterhaltungsversuche aufgenommen und ich verbindlich eingeladen wurde, doch mehr ans Licht zu rücken.
Dies hätt ich nun wohl gleich bei meinem Eintreten getan, wenn die Ecke am Fenster damals schon eine Lichtecke gewesen wäre; sie war es aber erst während der letzten Minuten geworden, wo, nach mehreren gescheiterten Versuchen, eine Art Küchenlampe in Betrieb gesetzt worden war. Ich dankte jetzt dem Sprecher zunächst und rückte dann in den Lichtkreis ein.
Ich befand mich nunmehr im Westend der Infirmerie,… die ausschließlich aus den beiden ‚cuisiniers‘ (Köchen) des Gefängnisses bestand. Im ersten Augenblicke wusste ich nicht, ob sie Hausangestellte oder Mitgefangene wären; doch ließen ihre eigenen Mitteilungen mich nicht lange im Zweifel darüber. Mein-und-dein-Fragen, falsche Wechsel, unmotivierte Schwüre, so schien es mir hatten sie hierher geführt.
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Es war ein Junger und ein Alter. Der Junge war Koch vom Fach, hatte in Homburg, Aachen, Baden-Baden die große Schule durchgemacht und peinigte mich durch lange Schilderungen des Koch- und Badelebens, die er mit Fistelstimme und einer unheimlich geschraubten Begeisterung vortrug.
Gemütlicher war der Alte. Er war über sechzig, trug eine Brille mit ungewöhnlich großen Gläsern und war seines Zeichens ein lateinischer Sprachlehrer aus Moulins. Seit Jahr und Tag kochte er nun als Auxilliarcuisinier (Aushilfskoch) die Gefangenensuppe und behandelte den Wechsel der Dinge en philosophe (philosophisch). Dabei republikanisierte er scharf.
Dieser Alte dirigierte nun die Infirmerie. Er hatte Streichhölzer, Salz, zwei Handtücher; sein eigentliches Ansehen beruhte aber doch auf seiner ‚Bibliothek‘ und vor allem auf jener Küchenlampe, die ich ihn eben hatte anzünden sehen. Die Lampe wurde denn auch von ihm selber wie von allen Mitgefangenen gehegt und gepflegt; alles putze an ihr herum, um sie hübsch blank zu erhalten...
Der Alte, der (schon von Metier wegen) an Klassizität meinem penser libre in Besançon wenig nachstand, unterhielt mich eingängig noch eine halbe Stunde, dann ging ich zu Bett. Am Fenster brannte das Lämpchen und hatte seinen Lichtkreis.
In diesem Lichtkreis saß der lateinische Lehrer und Auxilliarkoch und las in Rabous ‚La grande Armée‘... In dem weiten Rest des Zimmers herrsche Dämmerung. Das Getrappel über uns, wo Gefangene auf und ab liefen, um sich zu erwärmen, hörte endlich auf, alles wurde still. Nur die Zylinderlampe brannte dankbar die Nacht hindurch.
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Als ich aufstand waren die Cuisiniers nicht mehr zugegen, der Küchendienst hatte sie bereits abgerufen. Statt ihrer machten sich jetzt die drei, die am Abend vorher am Kochofen so tapfer ausgehalten hatten, im Zimmer zu schaffen, wuschen, fegten, lüfteten und beeilten sich, mir meine Wünsche zu erfüllen, mein Leben erträglich zu machen.
Ich ließ Wein und Kognak kommen und half dadurch ihrem Eifer nach. Sie versicherten sämtlich, dass ihre Krankheit (wir waren ja in einer ‚Infirmerie‘) darunter nicht leiden würde. Der eine, ein Luxemburger, hatte die Gelbsucht. Ich lasse dahingestellt sein, ob der Hausarzt später die Zustände gerade dieses Patienten verbessert gefunden hat.
Um zehn Uhr war ich soweit, mich, ein Buch in der Hand, in einer der großen Fensternischen setzen zu können. Diese Nischen hatten über sieben Fuß Tiefe. Zu Füßen des alten Donjon lag Moulins. Um die goldenen Spitzen seiner Kathedrale spielte das Frühlicht, und durch den Schimmer hin flogen die Tauben.
Ich begann zu blättern. Es war das Buch, das der Alte bis spät in die Nacht emsig studiert hatte… Diese bloße Verherrlichung des Militärischen, ohne sittlichen Inhalt und großen Zweck, ist widerlich. Ich klappte das Buch zu und sah wieder auf die Kathedrale hinüber.
Dann machte ich meinen Spaziergang von Tür zu Fenster und von Fenster zu Tür, bis Mittag die ersehnte Nachricht kam: „Morgen früh weiter ins Land hinein.“ Wohin wusste niemand.
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