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04.09.2019, 11:11
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 04.09.2019, 11:15 von Fredeswind.)
3. LANGRES
Von Neufchateau bis Langres werden 12 Meilen sein. Wir machten die Fahrt in vier Stunden, im Allgemeinen durch Neugier, oder Schlimmeres, wenig belästigt… Es war gegen zwei Uhr, als wir Langres erreichten. In halbstündiger Entfernung vom Bahnhof, auf einem Bergrücken, lagen Stadt und Festung; dort mussten wir hinauf.
Festungsstadt Langres
Trotz Oktober war eine glühende Hitze; die Sonne stach. Halben Wegs bat ich, einen Augenblick rasten zu dürfen; man war sogleich bereit, und stellte mir anheim, diese Berg-Ersteigung in so viel Etappen zu machen, wie mir bequem sei. Endlich waren wir oben, das Festungstor nahm uns auf. Gefängnisse und Verhörlokale, zu meinem nicht geringen Leidwesen, lagen hier, wie an allen anderen Orten, die ich zu passieren hatte, immer am entgegengesetzten Ende der Stadt.
Porte Longe
So lernte ich das Spießrutenlaufen durch eine feindlich gesinnte Bevölkerung gründlich kennen. Ich erweiterte auf die Weise zwar meine Städtekenntnis, aber ich hätte auf diesen Wissenszuwachs gern Verzicht geleistet.
Renaissance-Haus
Die Straßenjugend, auch hier in Langres, war ziemlich arg hinter mir her, namentlich in den engeren Gassen, und wenn mir von den Zurufen auch vieles entging, so hatte ich doch gerade Ohr genug, um das immer wiederkehrende „prendre“ und „fusiller“ (‚hängen‘ und ‚erschießen‘) sehr deutlich herauszuhören.
Marienkapelle an der Kathedrale
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Endlich standen wir vor dem Verhörlokal.... Man führte mich in ein niedriges Büro-Zimmer. Der Gendarmerie-Wachtmeister entlud seine Ledertasche und legte allerhand Papiere, darunter auch die Legitimationskarten, Briefe und Notizbücher, die man mir in Domremy abgenommen hatte, auf den Tisch.
Der scharfe Gang bergan (der eingebüßten Nachtruhe ganz zu geschweigen) hatte mich so angestrengt, dass ich einer Ohnmacht nahe war. Da ich aber zugleich empfand, dass es auf die Antworten, die ich hier zu geben haben würde, sehr erheblich ankommen müsse, so bat ich zuvor um ein Glas Wasser. Man brachte mir Wein. Ich stürzte es herunter und war nun wie neubelebt.
Die Fragen, die an mich gerichtet wurden, waren dieselben wie in Neufchateau... Man wollte auch hier einen Offizier aus mir herauspressen, um so mehr, da meine Begleitpapiere mich ohne weiteres als einen solchen angemeldet hatten, meine Erscheinung und Sprachweise aber, vor allem die Notizen meines Taschenbuchs, die ein Interprete rasch durchfliegen musste, schienen im Ganzen die Situation zu meinen Gunsten zu ändern...
Das ganze Verhör hatte kaum 10 Minuten gedauert; ich wurde entlassen und durch meine Begleiter einige Straßen weiter in ein graues schlossartiges Gebäude geführt. Ich betrat es mit einer gewissen Zuversicht, die sich darauf gründen mochte, dass ich, am Schluss meines Zwiegesprächs mit den beiden Kapitänen, das Wort ‘Kaserne‘ gehört zu haben glaubte, ein Wort, das mir in der Lage, in der ich mich befand, schon halb wie Freiheit klingen musste. Ich sollte indes nicht lange in diesem Irrtum bleiben.
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Ein kleiner, schwarzäugiger Franzose (Monsieur Bourgaut, wie ich später erfuhr) nahm mich in Empfang, stellte die üblichen Fragen und führte mich dann treppauf, über lange Korridore hin in ein geräumiges, in allem übrigen aber meinen Erwartungen wenig entsprechendes Zimmer.
Mr. Bourgaut selbst war ungemein beweglich und geschäftig, plapperte mit halblauter Stimme lange Sätze vor sich hin, die ich nicht verstand, und verschwand dann rasch, nachdem er sich wie ein Kreisel verschiedene Male umgedreht hatte. Das Ganze gefiel mir nicht allzu sehr. Mit einer alten Sehnsucht dachte ich an meinen alten Palast zurück.
Ich war nun allein und suchte mich mit meiner neuen Behausung bekannt zu machen. Die Tür war auf geblieben, das schien mir ein gutes Zeichen, aber freilich auch das einzige. Das breite Fenster war dicht vergittert… Der Kamin war zugemauert, nur ein zweihandgroßes Loch hatte man gelassen, das jetzt durch einen rostigen Eisenschieber geschlossen war...
Ich trat nun an das Fenster und durch die Gitterstäbe hinunterblickend, musste ich jetzt den letzten Rest der Vorstellung aufgeben, dass ich mich in einer Kaserne befände. Aus dem von allen vier Seiten eingeschlossenen Hofe, zum Teil unter den Säulen, die ihn kolonadenartig umstanden, saßen 20 oder 30 Graujacken und zupften Wolle. Ich wusste nun, wo ich war...
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Monsieur Bourgaut erschien mit einem Tische in der Tür, drehte sich mit demselben wieder dreimal herum, schob ihn in eine der Ecken und sagte dann, als er meiner in der Fensternische gewahr wurde: „Retirez vous; vous ne connaissez pas ces gens là bas; ce sont des Condamnés.“ (Ziehen Sie sich zurück; Sie kennen diese Leute nicht; es sind Verurteilte) Es überlief mich ein wenig...
Ich wurde gefragt, welches Nachtessen ich zu nehmen wünsche? Ich bat nur um etwas Tee. Mr. Bourgaut äußerte sich zustimmend… und empfahl sich. Es begann nun zu dämmern; ... die Riegel wurden vorgeschoben; nur mein Zimmer blieb zunächst noch offen.
Die Tür war leise angelegt. Ich schritt in der Diagonale auf und ab, überlegte, berechnete, balancierte, ein letzter Tagesschimmer leuchtete noch einmal über den Dachfirst gegenüber; dann wurd’ es dunkel. Ich setzte meine Marschübungen fort.
Plötzlich stutzte ich, als ich von der Tür her zwei feurige Punkte auf mich gerichtet sah. Ich erschrak, aber nur, um im nächsten Momente mich desto freier zu fühlen. Eine prächtige Katze hatte ihren halben Körper durch die Türe geschoben und folgte unter leisem Spinnen, mit dem Ausdruck der Verwunderung, meinem endlosen Auf und Ab.
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05.09.2019, 14:45
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30.11.2019, 17:28 von JTD.)
Was den nun ... Gefängnis oder nicht Gefängnis???
Na ja wir werden es lesen interessant ist es schon.
Die Bilder sind wie immer sehr gut!
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05.09.2019, 21:06
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 30.11.2019, 17:29 von JTD.)
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Ich rief:: „Miss, Miss“, besann mich dann aber rasch, dass die französischen Katzen eine andere Anrede verlangen und legte in das landesübliche „mimi“ meinen allerzärtlichsten Ton. Der Anblick meines liebsten Freundes hätte mir nicht so viel Trost gegeben. Ich wusste jetzt, dass ich die nächste Nacht schlafen würde. Und danach vor allem stand mein Sinn.
Selbst Mr. Bourgaut, der noch einmal wiederkam, um mir meinen Abend-Tee zu bringen, konnte mich in diesem Vorsatz und dieser Hoffnung nicht stören, so wenig auch die Worte, mit denen er sich mir empfahl, geeignet waren, meiner Nachtruhe Vorschub zu leisten.
Er nahm nämlich eine gewisse feierliche Haltung an und erklärte dann, um vieles deutlicher und akzentuierter als gewöhnlich: „Demain matin, Mr. le Général, en prèsence des autorités civiles et militaires, décidera votre sort.“ (Morgen früh wird der Herr General in Gegenwart der zivilen und militärischen Autoritäten über Ihr Schicksal entscheiden)…
Ich trank meinen Tee und 5 Minuten später schlief ich fest. Ich weiß nicht wie lange. Aber mitten in der Nacht fuhr ich auf. Der Körper hatte sich ein Genüge getan und die unruhige Seele, die bis dahin vergeblich den wie tot Schlafenden gerüttelt und geschüttelt hatte, hatte ihn jetzt plötzlich ins Leben zurückgeweckt. Es war ‚demain matin‘.
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Meine Legitimations-Papiere, die alle mehr oder weniger auf Anrufung der preußischen Militair-Autoritäten zu meinem Schutz und zu meiner Unterstützung hinausliefen, sprachen mehr gegen als für mich. Wie federleicht wogen dagegen die paar Aufzeichnungen meines Notizbuches, die alles waren, was ich direkt und unverzüglich zu meiner Verteidigung beibringen konnte!...
Eine halbe Stunde lag ich so, oder vielleicht länger, ich weiß es nicht. Dann hatt’ ich mich mit der Gewissheit meines Schicksals auch wieder gefunden. Eine Fassung kam über mich, deren ich mich nicht für fähig gehalten hätte... Genug davon. War es Erschöpfung, oder war es die Ruhe vollster Ergebung, — ich schlief wieder ein. Mit dem Morgengrauen war ich wach...
Um 6 Uhr saß ich an dem Tisch, den Mr. Bourgaut am Abend vorher zurecht gerückt hatte, Um 8 Uhr war ich in Brouillon und Abschrift mit einem langen Memoire fertig, das bereits um 9 Uhr auf dem Büro des Generals lag... Den Beweis meiner Nicht-Militärschaft hatte ich bis zur Evidenz (Offensichtlichkeit) geführt...
Les autorités civiles et militaires waren nicht zusammengetreten. Es fiel mir wie eine Last von der Brust, ich atmete auf und als mir mein zappelmännischer Mr. Bourgaut... am Abend den Tee brachte, flüsterte er mir freundlich zu: „Tout va bien; tranquillisez-vous!“ (Alles läuft gut; beruhigen Sie sich) Das klang besser als ‚Décidera votre sort‘. Ich schlief fest.
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Auch der nächste Tag verging ohne Kriegsgericht. Ich durfte jetzt annehmen, dass ich gerettet sei… Meine vollkommenste Unschuld war evident, dennoch konnte man sich nicht entschließen, mir ohne Weiteres die Freiheit zurückzugeben. Es geschah, was immer in solchen Fällen zu geschehen pflegt: eine Autorität schob einer andern die Verantwortlichkeit zu. Es wurde beschlossen, mich von der Brigade an die Division zu verweisen.
Ehe dies aber ausgeführt wurde oder auch nun bestimmt zu meiner Kenntnis gelangte, vergingen noch drei Tage. Diese waren mein Idyll zu Langres. An dem ersten dieser drei Tage wurde mir in aller Morgenfrühe ‚Monsieur Louis‘, der Sohn des Hauses, durch Papa Bourgaut vorgestellt und von diesem Moment an war ich nicht mehr Alleinbewohner meines Gefängnisses, sondern teilte es mit ‚mon cher Louis‘.
Es war ein allerliebster Junge, dreizehnjährig, frisch, naiv, voller Begabung, namentlich nach der Seite des Künstlerischen hin. Der Umstand, dass gerade die großen Ferien waren, machte es ihm möglich, 12 Stunden des Tages mein Gesellschafter zu sein. Ich gewann den Jungen lieb... Wir begannen in der Regel mit einer Stunde deutschen Unterricht.
Er hatte Lesebücher, darin auch viele deutsche Gedichte eingestreut waren, unter andern Clandius‘ ‚Abendlied‘. Und so lasen wir denn:
„Der Mond ist aufgegangèn,
Die goldenen Sterne prangèn,..."
immer mit dem Accent auf der letzten Silbe, was einen unendlich komischen Eindruck machte.
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08.09.2019, 09:33
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.09.2019, 09:34 von Fredeswind.)
Nach dem deutschen Unterricht kamen Rätsel und Rebus an die Reihe, worin er mir unendlich überlegen war. Dann schritten wir zu den verschiedensten Gesellschaftsspielen... Waren wir dann ermüdet von dem vielen Spielen, so wusste eher Louis durch eine Art ernsteren Sport die Nerven wieder zu beleben...
Endlich am Mittag des fünften Tages erschien mein Bourgaut, um mir mitzuteilen, dass ich am nächsten Morgen nach Besançon transportiert werden würde. Er hielt eine lange Rede, noch länger als gewöhnlich. Ich konnte nicht völlig folgen...
Papa Bourgaut fasste nunmehr epigrammatisch die Situation dahin zusammen:„Renvoyé dans votre pays par la Suisse, ou autorisation supérieure pour séjourner en France.“ (Rücksendung in Ihre Heimat über die Schweiz oder Genehmigung von höherer Stelle, in Frankreich zu Bleiben.) In diesen paar Worten lag ein ganzer Himmel. Das ‚Renvoyé‘ ergab sich danach als das stärkste Strafmaß, das mir zudiktiert werden konnte, wohl aber war mir die Möglichkeit gegeben, im Lande bleiben und meine Schlachtfelder-Studien fortsetzen zu können.
Ich war wie genesen, betrachtete mich als frei und hundert freundliche Bilder des Wiedersehens stürmten auf mich ein. Das Gefühl des Glückes war so groß, dass ich die Frage, ob ich unter diesen Umständen wohl geneigt sei, ein ordentliches Abendmahl einzunehmen, sofort mit einem herzlichen: „Ja“, beantwortete.
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