Klicky Island

Normale Version: Fredeswinds Märchenschatztruhe
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Als sie von der untersten Stufe ins Freie traten, sahen sie eine gänzlich unbekannte Gegend vor sich. Maren sah befremdet umher. „Die Sonne scheint aber doch dieselbe zu sein!“, sagte sie endlich. „Kälter ist sie wenigstens nicht.“, meinte Andrees, indem er das Mädchen zur Erde hob. Von dem Platze, wo sie sich befanden, auf einem breiten Steindamm, lief eine Allee von alten Weiden in die Ferne hinaus. Sie bedachten sich nicht lange, sondern gingen, als sei ihnen der Weg gewiesen, zwischen den Reihen der Bäume entlang. Wenn sie nach der einen oder andern Seite blickten, so sahen sie in ein ödes, unabsehbares Tiefland, das so von aller Art von Rinnen und Vertiefungen zerrissen war, als bestehe es nur aus einem endlosen Gewirre verlassener See- und Strombetten. Dies schien auch dadurch bestätigt zu werden, dass ein beklemmender Dunst, wie von vertrocknetem Schilf, die Luft erfüllte.




Dabei lagerte zwischen den Schatten der einzeln stehenden Bäume eine solche Glut, dass es den beiden Wanderern war, als sähen sie kleine weiße Flammen über den staubigen Weg dahinfliegen. Andrees musste an die Flocken aus dem Feuerbarte des Kobolds denken. Einmal war es ihm sogar, als sähe er zwei dunkle Augenringe in dem grellen Sonnenschein; dann wieder glaubte er deutlich neben sich das tolle Springen der kleinen Spindelbeine zu hören. Bald war es links, bald rechts an seiner Seite. Wenn er sich aber wandte, vermochte er nichts zu sehen; nur die glutheiße Luft zitterte flirrend und blendend vor seinen Augen. „Ja, dachte er, indem er des Mädchens Hand erfasste und beide mühsam vorwärts schritten, sauer machst du's uns, aber recht behältst du heute nicht!“




Weiter und weiter gingen sie, der eine nur auf das immer schwerere Atmen des andern hörend. Der einförmige Weg schien kein Ende zu nehmen; neben ihnen unaufhörlich die grauen, halb entblätterten Weiden, seitwärts hüben und drüben unter ihnen die unheimlich dunstende Niederung. Plötzlich blieb Maren stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen an den Stamm einer Weide. „Ich kann nicht weiter“, murmelte sie, „die Luft ist lauter Feuer.“ Da gedachte Andrees des Metfläschchens, das sie bis dahin unberührt gelassen hatten.




– Als er den Stöpsel abgezogen, verbreitete sich ein Duft, als seien die Tausende von Blumen noch einmal zur Blüte auferstanden, aus deren Kelchen vor vielleicht mehr als hundert Jahren die Bienen den Honig zu diesem Tranke zusammengetragen hatten. Kaum hatten die Lippen des Mädchens den Rand der Flasche berührt, so schlug sie schon die Augen auf. „Oh!“, rief sie, „auf welcher schönen Wiese sind wir denn?“ „Auf keiner Wiese, Maren; aber trink nur, es wird dich stärken!“ Als sie getrunken hatte, richtete sie sich auf und schaute mit hellen Augen um sich her. „Trink auch einmal, Andrees“, sagte sie; „ein Frauenzimmer ist doch nur ein elendiglich Geschöpf!“




„Aber das ist ein echter Tropfen!“, rief Andrees, nachdem er auch gekostet hatte. „Mag der Himmel wissen, woraus die Uhrahne den gebraut hat!“ Dann gingen sie gestärkt und lustig plaudernd weiter. Nach einer Weile aber blieb das Mädchen wieder stehen. „Was hast du, Maren?, fragte Andrees. „Oh, nichts, ich dachte nur -“ „Was denn, Maren?“ „Siehst du, Andrees! Mein Vater hat noch sein halbes Heu draußen auf den Wiesen; und ich gehe da aus und will Regen machen!“ „Dein Vater ist ein reicher Mann, Maren; aber wir andern haben unser Fetzchen Heu schon längst in der Scheuer und unsre Frucht noch alle auf den dürren Halmen.“ „Ja, ja, Andrees, du hast wohl recht; man muss auch an die andern denken!“ Im stillen bei sich selber aber setzte sie später hinzu: „Maren, Maren, mach dir keine Flausen vor; du tust ja doch alles nur von wegen deinem Schatz!“ 

So waren sie wieder eine Zeitlang fortgegangen, als das Mädchen plötzlich rief: „Was ist denn das? Wo sind wir denn? Das ist ja ein großer, ungeheurer Garten!“ Und wirklich waren sie, ohne zu wissen wie, aus der einförmigen Weidenallee in einen großen Park gelangt. Aus der weiten, jetzt freilich versengten Rasenfläche erhoben sich überall Gruppen hoher prachtvoller Bäume. Zwar war ihr Laub zum Teil abgefallen oder hing dürr und schlaff an den Zweigen, aber der kühne Bau ihrer Äste strebte noch in den Himmel, und die mächtigen Wurzeln griffen noch weit über die Erde hinaus. Eine Fülle von Blumen, wie die beiden sie nie zuvor gesehen, bedeckte hie und da den Boden; aber alle diese Blumen waren welk und düftelos und schienen mitten in der höchsten Blüte von der tödlichen Glut getroffen zu sein.




„Wir sind am rechten Orte, denk ich!“, sagte Andrees. Maren nickte. „Du musst nun hier zurückbleiben, bis ich wiederkomme.“ „Freilich“, erwiderte er, indem er sich in dem Schatten einer großen Eiche ausstreckte. „Das übrige ist nun deine Sach! Halt nur das Sprüchlein fest und verred dich nicht dabei!“-- So ging sie denn allein über den weiten Rasen und unter den himmelhohen Bäumen dahin, und bald sah der Zurückbleibende nichts mehr von ihr. Sie aber schritt weiter und weiter durch die Einsamkeit.

Bald hörten die Baumgruppen auf, und der Boden senkte sich. Sie erkannte wohl, dass sie in dem ausgetrockneten Bette eines Gewässers ging; weißer Sand und Kiesel bedeckten den Boden, dazwischen lagen tote Fische und blinkten mit ihren Silberschuppen in der Sonne. In der Mitte des Beckens sah sie einen grauen fremdartigen Vogel stehen. Er schien ihr einem Reiher ähnlich zu sein, doch war er von solcher Größe, dass sein Kopf, wenn er ihn aufrichtete, über den eines Menschen hinwegragen musste; jetzt hatte er den langen Hals zwischen den Flügeln zurückgelegt und schien zu schlafen.




Maren fürchtete sich. Außer dem regungslosen unheimlichen Vogel war kein lebendes Wesen sichtbar, nicht einmal das Schwirren einer Fliege unterbrach hier die Stille; wie ein Entsetzen lag das Schweigen über diesem Orte. Einen Augenblick trieb sie die Angst, nach ihrem Geliebten zu rufen, aber sie wagte es wiederum nicht; denn den Laut ihrer eignen Stimme in dieser Öde zu hören, dünkte sie noch schauerlicher als alles andre.




So richtete sie denn ihre Augen fest in die Ferne, wo sich wieder dichte Baumgruppen über den Boden zu erheben schienen, und schritt weiter, ohne rechts oder links zu sehen. Der große Vogel rührte sich nicht, als sie mit leisem Tritt an ihm vorüberging, nur für einen Augenblick blitzte es schwarz unter der weißen Augenhaut hervor. – Sie atmete auf. –




Nachdem sie noch eine weite Strecke hingeschritten, verengte sich das Seebett zu der Rinne eines mäßigen Baches, der unter einer breiten Lindengruppe durchführte. Das Geäst dieser mächtigen Bäume war so dicht, dass ungeachtet des mangelhaften Laubes kein Sonnenstrahl hindurchdrang. Maren ging in dieser Rinne weiter; die plötzliche Kühle um sie her, das hohe dunkle Gewölk der Wipfel über ihr; es schien ihr fast, als gehe sie durch eine Kirche. Plötzlich aber wurden ihre Augen von einem blendenden Licht getroffen.

Die Bäume hörten auf, und vor ihr erhob sich ein graues Gestein, auf das die grellste Sonne niederbrannte. Maren selbst stand in einem leeren sandigen Becken, in welches sonst ein Wasserfall über die Felsen hinabgestürzt sein mochte, der dann unterhalb durch die Rinne seinen Abfluss in den jetzt verdunsteten See gehabt hatte. Sie suchte mit den Augen, wo wohl der Weg zwischen den Klippen hinaufführte. Plötzlich aber schrak sie zusammen.




Denn das dort auf der halben Höhe des Absturzes konnte nicht zum Gestein gehören; wenn es auch ebenso grau war und starr wie dieses in der regungslosen Luft lag, so erkannte sie doch bald, dass es ein Gewand sei, welches in Falten eine ruhende Gestalt bedeckte. – Mit verhaltenem Atem stieg sie näher. Da sah sie es deutlich; es war eine schöne mächtige Frauengestalt. Der Kopf lag tief aufs Gestein zurückgesunken; die blonden Haare, die bis zur Hüfte hinabflossen, waren voll Staub und dürren Laubes. Maren betrachtete sie aufmerksam. „Sie muss sehr schön gewesen sein", dachte sie, „ehe diese Wangen so schlaff und diese Augen so eingesunken waren. Ach, und wie bleich ihre Lippen sind! Ob es denn wohl die Regentrude sein mag?




– Aber die da schläft nicht; das ist eine Tote! Oh, es ist entsetzlich einsam hier!“ Das kräftige Mädchen hatte sich indessen bald gefasst. Sie trat ganz dicht herzu, und niederkniend und zu ihr hinabgebeugt, legte sie ihre frischen Lippen an das marmorblasse Ohr der Ruhenden. Dann, all ihren Mut zusammennehmend, sprach sie laut und deutlich:

„Dunst ist die Welle,
Staub ist die Quelle!
Stumm sind die Wälder,
Feuermann tanzet über die Felder!“

Da rang sich ein tiefer klagender Laut aus dem bleichen Munde hervor; doch das Mädchen sprach immer stärker und eindringlicher:

„Nimm dich in acht!
Eh du erwacht,
Holt dich die Mutter
Heim in der Nacht!“

Da rauschte es sanft durch die Wipfel der Bäume, und in der Ferne donnerte es leise wie von einem Gewitter. Zugleich aber und, wie es schien, von jenseits des Gesteins kommend, durchschnitt ein greller Ton die Luft, wie der Wutschrei eines bösen Tieres. Als Maren emporsah, stand die Gestalt der Trude hoch aufgerichtet vor ihr. „Was willst du?“, fragte sie. „Ach, Frau Trude“, antwortete das Mädchen, „Ihr habt so grausam lang geschlafen, dass alles Laub und alle Kreatur verschmachten will!“ Die Trude sah sie mit weit aufgerissenen Augen an, als mühe sie sich, aus schweren Träumen zu kommen.





Endlich fragte sie mit tonloser Stimme: „Stürzt denn der Quell nicht mehr?“ „Nein, Frau Trude!“, erwiderte Maren. „Kreist denn mein Vogel nicht mehr über dem See?“ „Er steht in der heißen Sonne und schläft.“ „Weh!“, wimmerte die Regenfrau. „So ist es hohe Zeit. Steh auf und folge mir, aber vergiss nicht den Krug, der dort zu deinen Füßen liegt!“ Maren tat, wie ihr geheißen, und beide stiegen nun an der Seite des Gesteins hinauf.




– Noch mächtigere Baumgruppen, noch wunderbarere Blumen waren hier der Erde entsprossen, aber auch hier war alles welk und düftelos. – Sie gingen an der Rinne des Baches entlang, der hinter ihnen seinen Abfall vom Gestein gehabt hatte. Langsam und schwankend schritt die Trude dem Mädchen voran, nur dann und wann die Augen traurig umherwendend. Dennoch meinte Maren, es bleibe ein grüner Schimmer auf dem Rasen, den ihr Fuß betreten, und wenn die grauen Gewänder über das dürre Gras schleppten, da rauschte es so eigen, dass sie immer darauf hinhören musste.




„Regnet es denn schon, Frau Trude?“, fragte sie. „Ach nein, Kind, erst musst du den Brunnen aufschließen!“ „Den Brunnen? Wo ist denn der?“ Sie waren eben aus einer Gruppe von Bäumen herausgetreten. „Dort!“, sagte die Trude, und einige tausend Schritte vor ihnen sah Maren einen ungeheuren Bau emporsteigen. Er schien von grauem Gestein zackig und unregelmäßig aufgetürmt; bis in den Himmel, meinte Maren, denn nach oben hinauf war alles wie in Duft und Sonnenglanz zerflossen. Am Boden aber wurde die in riesenhaften Erkern vorspringende Front überall von hohen spitzbogigen Tor- und Fensterhöhlen durchbrochen, ohne dass jedoch von Fenstern oder Torflügeln selbst etwas zu sehen gewesen wäre.

Hallo Irmtraud,

ganz toll gemacht - wobei ich glaube, der schwierige Teil der Umsetzung kommt erst noch! Ich bin gespannt!

Danke Danke Danke
(18.02.2021, 19:02)JTD schrieb: [ -> ]Hallo Irmtraud,

ganz toll gemacht - wobei ich glaube, der schwierige Teil der Umsetzung kommt erst noch! Ich bin gespannt!

Danke Danke Danke

Danke Danke Rotwerd Rotwerd 
Ja, 'Die Regentrude' ist schon eine ganz schöne Herausforderung, umso mehr freut mich dein Lob. Love

Glücklicherweise hat Theodor Storm alles wunderschön beschrieben, so kann ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg und den Rest nennt man dann künstlerische Freiheit. Grinsen

LG von der Märchenfee Fredeswind   fee
Umwerfende Arbeit super schön umgesetzt!
Weiter so.
(18.02.2021, 20:30)Fredeswind schrieb: [ -> ]Ja, 'Die Regentrude' ist schon eine ganz schöne Herausforderung (...)

Falls Du danach eine neue Herausforderung suchst: dann wünsche ich mir "Stein und Rose"!
(19.02.2021, 08:19)JTD schrieb: [ -> ]
(18.02.2021, 20:30)Fredeswind schrieb: [ -> ]Ja, 'Die Regentrude' ist schon eine ganz schöne Herausforderung (...)

Falls Du danach eine neue Herausforderung suchst: dann wünsche ich mir "Stein und Rose"!

Danke Danke Rotwerd Rotwerd 

Du meinst das Märchen mit den ewig jung ausschauenden Alten, untertitelt mit 'Eine nachdenkliche Geschichte' von Storm, oder? 

Mal schauen, damit muss ich erst schwanger gehen, das dauert bis zu 9 Monaten. War bei 'Die Regentrude' auch so, voriges Jahr im Sommer überlegt, jetzt ausgeführt. Wenigstens wäre dieses neue Märchen nicht ganz so lang wie die Regentrude. Dazu muss ich es aber erst mal wieder genau studieren.


LG von der Märchenfee Fredeswind   fee